Am 15. Januar 1919 wurde Rosa Luxemburg von Rechtsradikalen in Berlin ermordet und in den Landwehrkanal geworfen. Umstritten ist die deutsch-polnische Revolutionärin bis heute. Die einen sehen in Rosa Luxemburg eine kompromisslose Kämpferin für soziale Gerechtigkeit – die anderen eine Kommunistin, die sich für eine «Diktatur des Proletariats» einsetzte.
Kaum bekannt ist, dass die junge Rosa Luxemburg in Zürich studierte und hier ihre ersten politischen Auftritte hatte. Die Historikerin Franziska Rogger blickt auf die bewegten Studienjahre der Rosa Luxemburg zurück.
SRF: Rosa Luxemburg machte 1887 in Warschau als Klassenbeste das Abitur. Doch die Auszeichnung wurde ihr verwehrt. Sie galt als rotes Tuch, weil sie einer revolutionären Partei angehörte. Mit 18 floh sie aus Polen nach Zürich. Warum gerade Zürich?
Franziska Rogger: Die Stadt war damals ein Hort der Revolutionäre. Liberale Kräfte gründeten in den 1830er-Jahren in der Schweiz Universitäten, die nicht – wie im restlichen Europa – unter Schirmherrschaft eines Königs standen.
Schon früh kamen Russen und Polen zum Studieren hierher, hatten eine eigene Infrastruktur, Bibliotheken und Speisehallen. Ihnen folgten bald die ersten Studentinnen.
Wie muss man sich die Studentin Rosa Luxemburg in Zürich vorstellen?
Sie studierte zunächst Zoologie und Botanik, wählte dann aber andere Fächer wie Staatswissenschaften. Anfänglich bekam sie Geld von zu Hause, später von ihrem Lebensgefährten. Sie hatte ein Zimmer in einer Villa, lernte fleissig und schloss mit einer Dissertation ab.
Als Studentin hatte sie bereits politische Auftritte als brillante Rednerin. Sie vertrat die Position, dass es für die Arbeiterschaft eine internationale Bewegung brauche.
Die Universität Zürich nahm als erste im deutschsprachigen Raum 1864 Frauen auf – die meisten aus Russland. 1869 schrieb sich erstmals auch eine Schweizerin ein, die Medizinerin Marie Heim-Vögtlin. Haben die russischen Studentinnen den Frauen in der Schweiz den Weg an die Universitäten geebnet?
Ja, die Russinnen waren die Vorreiterinnen. Sie kamen in grosser Zahl und mit einer sozialrevolutionären Haltung an, wollten hier eine Ausbildung als Lehrerin oder Ärztin machen, weil sie anderswo nicht studieren durften.
Sie lernte fleissig und schloss mit einer Dissertation ab.
Da sassen dann in einer Vorlesung neben 80 Schweizer Männern rund 100 Russinnen. Das ging gut, weil die Frauen nach dem Examen in ihre Heimat zurückkehrten, dort arbeiteten und ihren Beitrag zur Revolution leisten wollten. Von dieser Öffnung profitierten dann auch die Schweizerinnen.
Nach dem Studium heiratete Rosa Luxemburg den Sohn einer deutschen Emigrantenfamilie, die ihr ein Zimmer vermietet hatte – eine Scheinehe. Warum?
Das war nicht aussergewöhnlich. Manche oppositionelle Russin oder Polin liess sich auf eine solche Scheinehe ein.
Denn dann bekam sie den Pass ihres Ehemanns und konnte reisen – unabhängig davon, ob ihre Eltern damit einverstanden waren. Die Heirat Rosa Luxemburgs erleichterte ihren Wegzug nach Berlin.
Was zog sie nach Deutschland?
Rosa Luxemburg stand als Pazifistin auf verlorenem Posten.
Sie sah in Berlin mehr Möglichkeiten, sich politisch zu betätigen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Als es 1914 darum ging, ob die Sozialdemokratische Partei Deutschlands den Kriegskrediten zustimmen sollte, war sie dagegen.
Doch als Pazifistin stand sie auf verlorenem Posten – es kam zum Bruch mit der Partei. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete sie mit Karl Liebknecht die Kommunistische Partei Deutschlands.
Am 15. Januar 1919 wurde sie von rechten Freischärlern ermordet.
Das Gespräch führte Sabine Bitter.