Was kann ein Verlag in Krisenzeiten tun? Nach dem Angriff der Hamas auf Israel haben die Verantwortlichen beim Verlag S. Fischer die Köpfe zusammengesteckt.
«Wir können Bücher veröffentlichen», sagt Verlagsleiter Oliver Vogel. Deswegen bat der Verlag seine Autorinnen und Autoren, ihnen Texte zu empfehlen, «die in irgendeiner Weise dieser Zeit standhalten». Texte, die Worte finden, wo keine sind.
Verse gegen die Ohnmacht
«Worte in finsteren Zeiten» heisst das Buch, das diese eingereichten Texte, Sätze und Gedichte vereint. Innerhalb kürzester Zeit haben fast alle der 100 angefragten Autorinnen und Autoren Zeilen anderer Literaturgrössen an den Verlag geschickt. Zeilen, die ihnen in verzweifelten Situationen Halt gegeben haben.
Dazu gehören Texte von Ingeborg Bachmann, Erich Kästner, Ilse Aichinger, Franz Kafka oder Robert Musil. Manche Texte sind länger: zum Beispiel die Rede des sowjetischen Dissidenten Iwan Dsjuba 1966 zum 25. Jahrestag des Massakers deutscher Einheiten im ukrainischen Babyn Jar während des Zweiten Weltkriegs.
Das Buch enthält aber auch kurze Zitate. Die Schriftstellerin Lena Gorelik etwa hat einen Auszug aus einem Brief von Hannah Arendt an den Historiker Gershom Scholem ausgewählt:
«Ich bin in der Tat heute der Meinung, dass das Böse nur extrem ist, aber niemals radikal. Es hat keine Tiefe, auch keine Dämonie. Es kann die ganze Welt verwüsten, gerade weil es wie ein Pilz an der Oberfläche weiter wuchert. Tief aber und radikal ist immer nur das Gute.»
Ein Text irritiert
Zeilen wie diese können Mut machen. Das gilt auch für die Gedichte des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwish. Gleich vier seiner Texte wurden dem Verlag zugeschickt. Drei weitere Gedichte stammen vom deutsch-israelische Lyriker Jehuda Amichai. Offenbar war es den angefragten Autorinnen und Autoren ein Bedürfnis, der Lyrik aus Kriegsgebieten eine Stimme zu geben.
Etwas irritierend ist hingegen ein jüdisch-orthodoxes Gebet, das der israelischen Armee Mut machen soll. Ausgewählt hat es der Historiker und Autor Lothar Kittstein. Diese Zeilen spenden nicht allen Trost, sondern nur einer Partei im Nahostkonflikt.
«Als wir mit dem Buch begonnen haben, haben wir beschlossen, uns so wenig wie möglich einzumischen», erklärt Herausgeber Oliver Vogel. «In diesem Fall fanden wir, dass die Grenze nicht überschritten ist.» Es sei nicht ihre Aufgabe, als Zensoren aufzutreten, so Vogel weiter: «Wenn dieser Text jemanden tröstet, dann nehmen wir ihn auf.»
Mehr als eine Wirklichkeit
Viele kluge Menschen haben für diese Anthologie in Rekordzeit kluge und inspirierende Texte zusammengetragen. Die Lektüre dieser Zeilen macht Hoffnung, dass Menschlichkeit in dieser Welt möglich ist. Ein kurzer Satz von Robert Musil im Buch macht das deutlich: «Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch Möglichkeitssinn geben.»
Es sei die Hoffnung der Literatur, dass es mehr als die eine Wirklichkeit gebe, so Oliver Vogel. «Dass es immer eine Alternative gibt zu dem, was gerade passiert.» Und dass diese Alternative eintreffen könnte.