Bewundert werden? Reich sein? Renommee? Alles überschätzt in der Welt von Hannes Keller. Für ihn zählt anderes: «Ich will, dass man denkt.» Und er hält es dabei mit seiner «Geliebten», Hypatia von Alexandria: «Falsch zu denken ist besser, als gar nicht zu denken.» Dieser Satz zieht sich durch das beeindruckende Wirken und Werken von Hannes Keller, der jetzt 80 wird.
Scheitern und Fehler machen gehören bei ihm zum Erfolg – schon seine Mutter impfte ihm das ein: «Jetzt bringen wir die Sauerei in Ordnung und fangen wieder neu an.» Und das tat Hannes Keller – immer wieder. «95 Prozent von dem, was ich mache, ist Schrott!», pflegt er zu sagen.
Zwang zum Selbermachen
Keller wurde am 20. September 1934 in Winterthur geboren. Er flog vom Gymnasium, weil er am Latein scheiterte. Später brachte er es zum Mathematiker. Schon früh stellte er fest, dass er technisch begabt war, gleichzeitig aber äusserst fasziniert von Kunst, Musik und Literatur. Er beschrieb sich einst «als exzessiven, zuweilen manischen Menschen mit dem Zwang zum Selbermachen – aber auch mit dem Talent dazu».
Kaum etwas ist ihm fremder als Routine. Am liebsten beschäftigt er sich mit Dingen, von denen er anfangs keine Ahnung hat. Er ist ein Tausendsassa, ein «Hannesdampf», wie ihn Medien gerne nannten: Mathematiker, Philosoph, Computerpionier, Taucher, Konzertpianist, Unternehmer. Keller brachte es mehrmals zum Millionär – hat sich aber auch immer wieder verschuldet.
Tauchen und Programmieren
Schlagartig weltberühmt wurde er 1962, als er einen Tauchrekord aufstellte, der zehn Jahre hielt. Das gelang ihm, weil er ein neues Gasgemisch entwickelt hatte – der Verkauf des Patents brachte ihm zudem viel Geld.
In den 1970er-Jahren begann seine Computerlaufbahn: Er handelte mit Geräten, als der Computer noch ein Fremdwort war. In den 1980er-Jahren stieg er in die Softwarebranche ein – mit wegweisenden Rechtschreibe- und Übersetzungsprogrammen: etwa «Witchpen», das er selber unbescheiden als «mächtigstes Textprogramm der Welt» bezeichnete. Er wusste zu provozieren, indem er Hersteller von fehlerhaften Programmen dafür haftbar machen wollte. Gemünzt war das auf Microsoft-Chef Bill Gates. Kellers Unternehmen konnte schliesslich mit der rasenden Computer-Entwicklung nicht Schritt halten – und scheiterte.
Ende der 1990er-Jahre gab er ein Zwischenspiel in der Politik, gründete die Solidaritätspartei und plädierte für ein staatliches Grundeinkommen. Er schrieb das «Manifest der solidarischen und liberalen Gesellschaft» – wollte Christoph Blocher bodigen. Auch daraus wurde nichts.
Ein Wikipedia für Bilder
Links zum Thema
Ab 1999 baute Keller die Website Visipix auf, ein «Weltzentrum für visuelle Inspiration». Es wurde über die Jahre zum «grössten Kunst- und Bildermuseum der Welt» mit 1,3 Millionen kostenlosen Bildern. Ein Sammelsurium mit Filmplakaten, Mangas, Van Goghs, Promifotos oder Sonnenuntergängen. Die Website mit ihrem anachronistischen Design ist immer noch in Betrieb – auch wenn Keller sie inzwischen nicht mehr weiterpflegt. Vergeblich suchte er Käufer und Geldgeber für das Projekt.
«Eigentlich kann ich mir das gar nicht mehr leisten, aber ich bringe es nicht übers Herz, die Seite abzuschalten», sagt Keller. Von der Idee einer Art Wikipedia für Bilder ist er nach wie vor überzeugt. Er glaubt, dass es in den USA möglich gewesen wäre, Geld und Mitstreiter für Visipix zu finden. «Ich war wohl der falsche Mann dafür, aber auch im falschen Land», sagt Keller.
Spaziergänge im Internet
Trotz aller Fehler und Rückschläge spricht Keller mit religiösem Eifer über Computer und das Internet – betitelte den Bildschirm einst als «tragbares Kloster». Das Internet hat heute viel von seiner Unschuld verloren – für Hannes Keller jedoch nichts von seiner Faszination. Das Internet sei viel mehr als nur Kommunikationsmittel: Ein zweiter Lebensraum neben unserer gewohnten Umgebung, «eine ungeheure Bereicherung», sagt er. «Ich spaziere mehr durchs Internet als durch den Wald.»
Bei aller Faszination für Technik, Hannes Keller hätte lieber mehr Begabung fürs Klavierspielen gehabt. Doch zum klassischen Konzertpianisten hat's nicht gereicht, auch wenn er es zu einigen grossen Auftritten brachte. «Ich habe es unendlich geliebt», sagt er. Ob Keller aber der Typ gewesen wäre, sich lange und geduldig auf dasselbe zu konzentrieren?
Jetzt ist Keller also 80 und etwas milder. «Das Ego hat Ruhe gegeben.» Nicht aber sein Tatendrang und seine Lust weiterzumachen.