Bei seinem aktuellen Betrugsprozess in New York wiederholte Donald Trump, was er im Zusammenhang mit den zahlreichen Verfahren, die er am Hals hat, schon behauptet hat: Er sei das Opfer einer gigantischen «Hexenjagd».
Trump bezieht sich damit auf eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte: die Hexenverfolgungen zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert. Gemäss Schätzungen fanden in Westeuropa rund 110'000 Hexenprozesse statt, knapp jeder Zehnte im Raum der heutigen Schweiz.
Der bekannteste Hexenprozess in den USA war derjenige von Salem in Neuengland im Jahr 1692. Er endete mit 20 Hinrichtungen.
Fehlende historische Grundlage
Die Parallele, die Donald Trump zieht, ist mehr als schief. Erstens warfen die Strafverfolger während der historischen Prozesse den angeklagten Frauen und Männern vor, sie würden per Zauberspruch Schaden über Mensch und Tier bringen: Krankheiten, Unfruchtbarkeit, Hagelstürme oder Missernten.
Im Fall von Donald Trump jedoch hat keiner der Klägerinnen und Kläger je behauptet, der Beschuldigte würde sich der Zauberei und damit metaphysischer Kräfte bedienen. Vielmehr betreffen die mittlerweile über 90 Anklagepunkte gegen den Ex-Präsidenten ganz handfeste Vergehen.
Es geht um Steuerbetrug, Wahlmanipulation, versuchten Umsturz, Unterschlagung von geheimen Dokumenten oder das Zahlen von Schweigegeld.
Recht statt Folter
Bei den historischen Hexenprozessen war – als zweiter Unterschied – in aller Regel Folter im Spiel, um Geständnisse zu erzwingen. Bei Donald Trump ist nicht bekannt, dass man ihm je Daumenschrauben angelegt hätte.
Vielmehr verlaufen die vielen Strafverfahren nach rechtsstaatlichen Prinzipien. Donald Trump darf auch Anwälte beiziehen, was er bekanntermassen tut, und zwar im grossen Stil und mit beträchtlichem finanziellen Aufwand.
Der Pakt mit dem Teufel
Der dritte und wohl wichtigste Unterschied ergibt sich daraus, dass die Richter zur Zeit des Hexenwahns den Opfern unterstellten, sie steckten mit dem Teufel unter einer Decke. Dass sie also das höchstpersönliche Werkzeug des mächtigen Gehörnten auf Erden wären.
Wenn die damaligen Henker eine angebliche Hexe dem Feuer übergaben, ging es der Obrigkeit denn auch darum, sich selbst als «Bezwinger des Teufels» zu inszenieren. Und vor dem einfachen Volk die eigene Macht zu demonstrieren.
Bei Donald Trump liegt der Fall anders. Er ist es, der von Hexenjagd spricht und sich damit – implizit – als Hexenmeister bezeichnet. Niemand sonst tut dies, ausser er selbst und seine Getreuen.
Alle sind gleich, nur einer ist gleicher
Damit unterstellt Trump den Strafverfolgern, sie sähen in ihm einen Menschen mit übernatürlichen Kräften. Und sie versuchten sich durch die Anklagen gegen ihn, den nahezu allgewaltigen Donald Trump, als Kerle zu beweisen.
Diese Selbstzuschreibung mag völlig verquer erscheinen. Aber sie lässt tief blicken: Indem Donald Trump die finstere Zeit der Hexenverfolgung bemüht und sich selbst zum Hexenmeister macht, setzt er sich – unter Missachtung der damaligen Opfer – als aussergewöhnlichen Menschen in Szene. Als einen, der sich offenbar als allen anderen überlegen wahrnimmt.