Es sieht aus wie riesige, ineinander verschlungene Regenwürmer. Glatt und hellrosa, in den Windungen etwas dunkler. Ein Konglomerat aus Dünndarm und Dickdarm. Aus Magen, After und Bauchspeicheldrüse. Zehn, zwölf Kilogramm schwer.
Der Metzger zieht es aus dem Schwein. Ein paar Sekunden zuvor hat er das Tier geöffnet. Mit einem Schnitt quer über den Bauch. Nun legt er das glibberige Paket auf ein Förderband.
Wir essen nur ein Drittel des Tiers
Was wir landläufig als Schlachtabfall bezeichnen, hat hier im Schlachthof Bell in Basel einen anderen Namen: Schlachtnebenprodukt. 240'000 Tonnen davon fallen jährlich in der Schweiz an, nicht nur von Schweinen, auch von Rindern oder Kälber.
Nicht nur Innereien, auch Köpfe, Luftröhren, Blut, Häute. Alles, was Schweizerinnen und Schweizer nicht essen. Rund zwei Drittel eines Tieres. Aber: Nichts davon bleibt ungenutzt.
Das Konglomerat rutscht durch ein Fallrohr ins erste Untergeschoss und landet auf einem metallenen Tisch. Kurz zuvor – in der Schlachtstrasse von Bell – hat es ein Veterinär auf Abweichungen untersucht und freigegeben.
«Ab hier sind wir Besitzer dieses Produktes», erklärt Wolfgang Burkhard. Er ist Geschäftsleiter der Centee, einer Tochtergesellschaft der Centravo, der grössten Verwerterin von tierischen Nebenprodukten in der Schweiz.
Viele Patienten profitieren
In einem ersten Arbeitsschritt entfernt ein Mitarbeiter die Bauchspeicheldrüse. Mit einem geübten Handgriff. «Anschliessend frieren wir sie ein und liefern sie nach Deutschland», erklärt Burkhard. Dort entsteht daraus das Medikament Pankreatin.
Es enthält Enzyme, welche die Nahrung in ihre Einzelteile zerlegen und hilft bei Verdauungsbeschwerden wie Völlegefühl oder Blähungen. Für Patienten mit Pankreatitis oder Pankreas-Krebs, bei denen die Bauchspeicheldrüse entnommen wurde. Und auch für Patientinnen mit Mukoviszidose – ein Gendefekt, bei dem alle Drüsen schleimen.
Mittel gegen Arthrose
Die Pharma-Industrie verwertet verschiedene Schlachtnebenprodukte zu Medikamenten: Aus den Knorpeln von Luftröhre und Kehlkopf von Rindern und Schweinen wird Chondroitin-Sulfat gewonnen, ein wichtiger Hilfsstoff zur Behandlung von Arthrose.
Man findet es auch in Nahrungsergänzungsmittel. Aus dem Rinderhirn entsteht Cholecalciferol (Vitamin D3). Und aus dem Blut der Kälber werden Wirkstoffe zur Wundheilung von inneren Organen gewonnen.
Kaum erträglicher Geruch
Acht Mitarbeiter arbeiten hier in dieser kleinen Fabrikhalle. Kaum Fluktuation. Fliessband-Arbeit. Für jeden Schritt bleiben ein paar Sekunden. Alle haben sie einen Migrationshintergrund. Die meisten kommen aus Ostafrika.
Einer von ihnen packt nun den glibberigen Klumpen und entfernt Magen, Milz und Netzfett. Ein anderer löst den Dünndarm mit einer Rasierklinge – der diffizilste Arbeitsschritt. Von einer Kette angezogen, läuft der Darm durch die Entkotungsanlage. Der Geruch? Undefinierbar, fremd. Kaum erträglich.
Anschliessend wird der Darm in 41 Grad warmem Wasser gebrüht. Nur so löst sich die Mukosa, der Darmschleim. Eine rosarote, schleimige Suppe. Sie wird in einer Tränke aufgefangen.
Nichts bleibt ungenutzt
1,6 Kilogramm Darmschleim pro Schwein. Er enthält viele Heparin-Moleküle, die grosse Pharmafirmen extrahieren. Als Spritze kommt Heparin auf den Markt – als Blutverdünner, um Gerinnsel und Thrombosen zu vermeiden.
Von einem geschlachteten Tier bleibt nichts ungenutzt. Einiges davon kann unser Wohlbefinden verbessern, einiges sogar unser Leben retten. Ein Aspekt, der in der Debatte rund um Nachhaltigkeit und Fleisch oft vergessen geht.