Zu dick, zu dunkel, zu haarig? Wie tief «Lookism» in unserer Gesellschaft verankert ist und wie viel Politik in den Schönheitsidealen steckt, zeigen Moshtari Hilal und Elisabeth Lechner. Die Expertinnen fordern eine Schönheitsrevolution: Wir sollten nicht die eigenen Körper kritisieren, sondern das System, auf dem die Schönheitsindustrie fusst – Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus.
SRF: Was ist denn so politisch an unserem Aussehen?
Elisabeth Lechner: Es gibt unzählige Studien, die belegen, dass Menschen, die als schön gelten, eindeutige Vorteile haben. Sie werden eher zum Vorstellungsgespräch eingeladen, verdienen mehr oder bekommen vor Gericht gelindere Strafen. Menschen, die als hässlich oder gar eklig gelten, werden abgewertet, ausgegrenzt und viel schneller Opfer von Gewalt.
Wie hängen Hass und Hässlichkeit zusammen?
Moshtari Hilal: Im Wort «Hass» klingt schon «Hässlichkeit» mit. Die Begriffe muss man kulturell und historisch betrachten: Irgendwann müssen wir gelernt haben, dass das «Hässliche» zu hassen ist. Politik und Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts haben Körperidentitäten gehasst, ausgegrenzt und teilweise bis zur Entmenschlichung und Vernichtung bearbeitet.
Wir machen uns selbst zu Objekten und verlieren dabei die Menschlichkeit.
Was hat Schönheit mit Kapitalismus zu tun?
Lechner: Das Schöne muss unerreichbar bleiben, das ist die Grundlage der Schönheitsindustrie. Scham und neue «Ekelkörper» werden ständig neu produziert. Die möchte natürlich niemand haben. Also fordert uns die Industrie auf, dieses Ideal zu erreichen und immer neue Produkte zu kaufen. Gerade wenn man in einem marginalisierten Körper lebt, der dauernd abgewertet wird, muss man sich fragen: «Kann ich es mir leisten, alt auszusehen? Kann ich es mir leisten, diese Körperbehaarung nicht zu entfernen?».
Was ist so verwerflich daran, dass Frauen behaart sind?
Hilal: Da kommt man schnell auf den Evolutionsdiskurs. Er misst die Menschen danach, wie weit sie vom Tier entfernt sind, wie nieder ihr körperlicher Entwicklungsstand ist. Natürlich wird diese Entfernung bei den Menschen gemessen, die man eh schon ausgegrenzt hat. Man misst an der Gesichtsbeharrungen einer Frau ihre Vernunft oder ihre Fruchtbarkeit. Die Kriterien sind ausgedacht, wirken aber in unserer Wahrnehmung noch immer nach.
Wir müssen unsere zwanghafte Sichtbarkeit infrage stellen.
Seit einigen Jahren gibt es im Schönheitsbusiness auch gegenläufige Trends hin zu mehr Diversität ...
Lechner: Ja. Aber nur, weil Heidi Klum seit drei Jahren bestimmte Körper als trendy deklariert, die minimal von der Norm abweichen, ist denen noch nicht geholfen, die da nie hinkommen werden. Ich glaube, wir sehen so eine kommerzielle Form von Body Positivity. Aber darüber hinaus?
Das Hässliche, unser Verfall gehören zum Leben dazu. Ist Schönheit demnach etwas Unmenschliches?
Hilal: Wir machen uns selbst zu Objekten und verlieren so die Menschlichkeit. Das stört mich am meisten an unserem Schönheitsbegriff. Historisch hat Hässlichkeit immer dazu gedient, zu entmenschlichen. Wir sollten uns aber fragen: «Was können wir aus der Hässlichkeit lernen?» Wir sollten uns mit der Hässlichkeit versöhnen und in ihr Menschlichkeit suchen.
Welche anderen Ansätze gibt es?
Lechner: Wir müssen unsere zwanghafte Sichtbarkeit infrage stellen. In einer kapitalistischen Gesellschaft sind vor allem junge, dünne und haarfreie Körper sichtbar – und wenn man mit ihnen Produkte verkaufen kann. Dadurch entsteht individueller Selbsthass, der viel Leid erzeugt. Wir sollten uns zusammenschliessen und uns das nicht gefallen lassen!
Das Gespräch führte Yves Bossart.