«Die Schüler aus dem Aargau sind um einiges besser vorbereitet auf das Gymnasium als diejenigen aus Baselland», sagt Florian, der im nächsten Frühjahr in Muttenz (BL) die Matur macht.
Seine Beobachtung hat einen Grund: Wenn Jugendliche im Aargau aufs Gymnasium wollen, müssen sie im Vergleich zu den Schülerinnen und Schülern aus Baselland und Basel-Stadt bessere Noten vorweisen.
Die Bedingungen für den Eintritt ins Gymnasium unterscheiden sich in der Schweiz von Kanton zu Kanton erheblich, was die Bildungsgerechtigkeit in Frage stellt.
Grosse kantonale Unterschiede
Gross ist zum Beispiel der Graben zwischen dem Glarnerland und dem Kanton Genf: In Glarus machen 14 Prozent der jungen Leute die Matur, im Kanton Genf sind es mit 30 Prozent mehr als doppelt so viele.
Der Zugang zum Gymnasium hängt nicht nur von der sozialen Herkunft, sondern auch massgeblich vom Wohnort ab – und damit ein Stück weit auch vom Zufall.
«Systematische Zufälligkeit»
Der Freiburger Bildungsforscher Winfried Kronig spricht deshalb von einer «systematischen Zufälligkeit des Bildungserfolgs», der bereits auf den unteren Schulstufen eine Rolle spielt.
Ein Grund für die kantonalen Unterschiede: Die Kantone legen nach eigenem Gutdünken eine Maturitätsquote fest. Je niedriger sie diese ansetzen, desto höher sind die Anforderungen für Jugendliche, die ins Gymnasium gehen.
Willkürliche Quote
Die Gymnasien spielen als Erfüllungsgehilfen der vorgegebenen Quote ihrerseits eine wichtige Rolle. Mit unterschiedlich langen Probezeiten haben sie ein weiteres Instrument in der Hand, die Aufnahme zu bestätigen oder zu korrigieren.
Doch eine Maturitätsquote, die unabhängig von der schulischen Leistung politisch ausgehandelt wird, widerspricht dem Prinzip der Meritokratie, wie der nationale Bildungsbericht 2018 festhält.
Damit wird die in der Schule vorgegebene Werthaltung, dass das Verdienst von der Leistung abhängt, vom Bildungssystem selbst ausser Kraft gesetzt.
Wirtschaftliche Interessen bestimmen mit
Hinter der gesetzten Maturitätsquote stehen oft auch wirtschaftliche Interessen.
Wenn der lokale oder regionale Arbeitsmarkt nur eine geringe Nachfrage nach jungen Leuten mit einer universitären Ausbildung hat, ist der politische Wille gering, das gymnasiale Angebot auszubauen.
Ein paar Maturanden mehr könnten wir durchaus verkraften
Je kleiner die Zahl der Gymnasiasten in einem Kanton ist, desto eher können kleine und mittlere Unternehmen davon ausgehen, leistungsfähige Lehrlinge zu bekommen.
Vor diesem Hintergrund vertrat der Bundesrat und abtretende Bildungsminister Schneider-Ammann die Position, lieber weniger, dafür bessere Maturanden zu haben. Er plädierte für eine härtere Matur.
Der digitale Wandel fordert heraus
Der ehemalige Rektor der Universität Basel und Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz, Antonio Loprieno, hält dagegen.
Damit kleinere und mittlere Unternehmen den digitalen Wandel in Zukunft bewältigen können, bräuchten sie Mitarbeiter mit einer guten Allgemeinbildung.
«Ich glaube, dass wir ein paar Maturanden mehr durchaus verkraften könnten», so Loprieno, «Gerade weil eine gymnasiale Ausbildung eine Flexibilität vermittelt, die von Nutzen sein kann.»
Ob es in den nächsten Jahren zu einem solchen Bildungszuwachs kommt, ist allerdings fraglich, solange die Kantone an ihrer Quote festhalten.