«Wenn du im Club tanzt, das ist ein Gefühl, als stünden alle Sterne am richtigen Ort. Du bist vereint mit dem Weltall und zufrieden mit allem.» In den 1980er-Jahren sind Discos für Oliver Stumm ein Ventil.
Denn in der Schweiz, «diesem Zwingli-Staat, war ja alles verboten. Und was nicht verboten war, war obligatorisch.»
«Zusammen können wir Welten verändern»
Oliver Stumm wächst in Boston als Sohn eines Zürcher Harvard-Professors auf. Als Teenager kommt er mit seiner Familie in die Schweiz.
Die Stimmung in Zürich erlebt der damals Anfang 20-jährige Mathestudent als bedrückend. Doch er hat einen Freundeskreis, der ihn auffängt: «Ich wusste: Zusammen können wir Welten verändern.»
In den USA ist die Partykultur schon weiter: Ähnlich wie im Hip-Hop gibt es dort Blockpartys, illegale Partys in verlassenen Kasernen, Bunkern oder auf Fabrikgeländen.
So etwas will Oliver Stumm mit seinen Freunden in der Schweiz aufziehen: «In Zürich gab es nur fünf Clubs, die nicht um 12 Uhr schliessen mussten. Da wollten wir aber nicht rein, das war alles ein Abriss.»
Schickimickis und Links-Aktivisten
Ihre erste illegale «Vollmondparty» findet am 17. März 1984 im Sex-Kino Walche statt: «Wir wussten nicht, was wir da machen. Es war alles sehr improvisiert», erzählt Oliver Stumm.
Zu ihrem Erstaunen rennt ihnen halb Zürich die Türen ein: «Wir haben 50 Eintrittskärtli verteilt und es kamen 500 Leute. Wir hatten keine Chance, das Fest unter Kontrolle zu halten. Es kamen einfach alle: von den Schickimickis aus dem Roxy bis zu den Links-Aktivisten aus dem Umfeld der Roten Fabrik.»
Impulse für eine weltoffene Gesellschaft
In erster Linie geht es ihnen um Spass, ums Tanzen und einen Rückzugsort. Aber auch um eine Provokation der konservativen Gesellschaft, um «die absolute Rebellion.» Sie feiern weltoffene Werte wie Freiheit, Gleichheit, Respekt und Liebe.
Auch musikalisch und kulturell geht es ihnen um mehr: «Es ging nicht darum Geld zu verdienen oder einen Club zu eröffnen. Wir wollten etwas auf die Beine stellen, das sich kulturell mit London oder New York vergleichen lässt.»
Partys werden zum Zirkus
Stumm legt die aktuellen House-Platten aus den USA auf. Finanziell sind die «Feschter» meist ein Desaster. Doch was als schräge Kostümfeste und Happenings beginnt, wächst zu Massenveranstaltungen – wie der Street Parade 1992.
Erstmals tanzt die Keller-Kultur mitten am Tag in der Öffentlichkeit und wird 2017 sogar auf die Liste der lebendigen UNESCO-Traditionen der Schweiz übernommen.
Die «Zürcher Technokultur» wird in den Adelsstand gehoben, kommt aber auch endgültig im Kommerz an: «Das wurde eine Art Zirkus. Wenn ein DJ in ein Gummiboot springt, ist das ja lustig und theatralisch. Aber es hat mit der Musik nicht mehr viel zu tun», sagt Oliver Stumm. All das ist nicht mehr seine Welt. Auch mit dem Schubladendenken innerhalb der Musik mit zahlreichen aufkommenden Subgenres kann er nichts anfangen.
Neustart in New York
Anfang der 90er-Jahre muss sich der einstige DJ-Pionier neu erfinden. Nach Abschluss seines Studiums wandert er nach New York aus und fängt von vorne an: «In Zürich war ich ein bunter Hund, in New York nur eine kleine Fliege wie jeder andere auch.»
Der Sprung über den Teich lohnt sich. Bald ist er als Musikproduzent international erfolgreich, arbeitet für George Michael oder die «Scissor Sisters». Inzwischen betreibt er in New York mehrere Restaurants und Lokale. Das Gesellige ist offenbar noch immer sein Ding.