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Alter Ausweis. Unter einem Reichsadler mit Hakenkreuz steht «Soldbuch». Daneben ein Schwarzweiss-Foto eines SS-Soldaten.
Legende: Der Reichsadler zog weite Kreise: Soldbuch des Schweizers Benno Schäppi, der 1941 der Waffen-SS beitrat. Archiv für Zeitgeschichte

Schweizer Nazis «Bei diesem Krieg wollte ich dabei sein»

Rund 2000 Schweizer kämpften freiwillig in der Waffen-SS. Was bewog die jungen Männer dazu, sich auf die Seite von Hitler zu schlagen?

Lesezeit: 8 Minuten

«Unser innig geliebter Hannes Martin Mettler hat am 14.9.1941 bei Kiew einen frühen Tod gefunden», steht in einer Todesanzeige von Anfang Oktober 1941 in einer Schweizer Tageszeitung.

Der junge Mann aus St. Gallen war an der Ostfront gefallen. Er hatte zuvor wie rund 2000 andere Schweizer einen persönlichen Eid auf den Führer geleistet und sich für eine zwölfjährige Dienstzeit in der Waffen-SS verpflichtet.

Zu diesen helvetischen Fremdenlegionären zählten 1200 Schweizer, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg im Deutschen Reich gelebt hatten. Dazu kamen jene 800 bis 900 Männer, die ihnen nach Kriegsbeginn folgten.

Neuanfang im Deutschen Reich

Einer von ihnen war der Automechaniker B. B. Er leistete zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zunächst Dienst in der Schweizer Armee. Doch die Zeiten zwischen seinen Einsätzen bedrückten ihn zunehmend: Er war arbeitslos und hatte kein ausreichendes Einkommen.

Da vertraute er sich seinem Kommandanten an, der ihn dabei unterstützte, im Deutschen Reich eine Arbeit zu finden: «So bekam ich dann die nötigen Papiere und ein Visum, was während des Kriegs nicht so einfach war. Doch irgendwann hatte ich alles beisammen. Im Winter 1941/42 war es soweit: Ich reiste nach Basel, zum Badischen Bahnhof. Es war kurz vor Neujahr. Traurig war es schon: Das Wetter war grau, und niemand war am Bahnhof. Ich war allein.»

Mann in Uniform hebt die Hand zum Schwur. Er ist umgeben von anderen Soldaten, im Hintergrund steht eine Einheit Spalier
Legende: Ein französischer Freiwilliger wird im Ausbildungslager Sennheim vereidigt. Hierher kamen auch Schweizer Freiwillige. Getty Images

Hungern – trotz gutem Lohn

Tatsächlich fand der junge Schweizer bald eine Stelle. Er trat in die Ford-Werke ein, die in Köln und Berlin Lastwagen für die deutsche Wehrmacht herstellten.

Doch sein Problem war damit nicht gelöst, wie er sich 1977 in einer Radiosendung erinnerte: Trotz des guten Lohns musste er hungern, denn jedes Stück Brot, das er bezog, wurde grammweise abgewogen und auf einer Karte eingetragen. Mitte des Monats war seine Ration aufgebraucht.

«Kommunismus – das Wort hat mich gestört»

Er war in einer äusserst ungemütlichen Situation, als ihm ein Plakat mit einem flammenden Aufruf ins Auge stach: «Freiwillige – meldet Euch zum Kampf gegen den Bolschewismus.»

Eine Aufforderung, für die der Mechaniker empfänglich war: «Kommunismus. Das war ein Punkt. Das hat mich gestört. Das Wort an und für sich. Was dahinterstand, wusste ich damals noch nicht so recht. Ich dachte: Du meldest dich freiwillig und hast wenigstens etwas zu essen.»

Titelblatt alter Zeitschrift: Bild zeigt verträumt schauendes Gesicht eines Soldaten. Darüber in Rot der Titel «Signal»
Legende: Die deutsche Propagandazeitschrift «Signal» wurde für das Ausland hergestellt. Sie war auch in der Schweiz erhältlich. Mauritius Images/John Frost Newspapers

Schlachtzüge im Schulzimmer

Ähnlich erging es A. A., einem anderen jungen Schweizer, der sich ebenfalls aus diffusen ideologischen Gründen der Waffen-SS andiente. Als Jugendlicher hatte er sich am Kiosk die nationalsozialistische Propagandazeitschrift «Signal» geholt, die in verschiedenen europäischen Ländern erhältlich war.

Mit seinen Schulkollegen stellte er jeweils während der Pausen auf der grossen Landkarte, die über der Wandtafel im Klassenzimmer hing, Hitlers Truppenbewegungen nach.

«Ich habe – wie meine Kameraden auch – in jedem Ostfrontkämpfer einen Helden und einen Retter der abendländischen Kultur gesehen. Ich habe mich mit ihnen für ein neues, geeintes Europa begeistern lassen. Und die vordergründige Aufgabe haben wir darin gesehen, der bolschewistischen Walze, die von Osten her angerollt kam, Einhalt zu gebieten. Der natürliche Abenteuerdrang, der in einem pubertierenden Jungen steckt, konnte sich so ausleben.»

Eintritt nach der Niederlage

Das war eine verhängnisvolle Ausgangslage: A. A. verliess die Schweiz und trat noch 1943 in die Waffen-SS ein, die ihn an die Ostfront nach Estland schickte. Und dies zu einem Zeitpunkt, als die Nationalsozialisten die Schlacht gegen die Russen bei Stalingrad schon verloren hatten und auf dem Rückzug waren.

Der junge Mann war achtzehn Jahre alt, als er sich als Mitglied der Heeresgruppe Nord im Februar 1944 auf dem Eis der Narva am finnischen Meerbusen wiederfand, wo es darum ging, die vorrückenden Russen aufzuhalten. Bei der Schlacht, die sieben Monate dauerte, verloren rund 200'000 Soldaten ihr Leben.

A. A. erlitt einen Nervenzusammenbruch und wurde von seinem Vorgesetzten – auch er ein Schweizer – «zum Skifahren» in die österreichischen Alpen abkommandiert. Dieser gab ihm unter vier Augen einen Ratschlag mit auf den Weg: Von dort wäre es wohl nicht mehr weit in die Schweiz. Dieser Urlaub auf Befehl hat A. A. vermutlich das Leben gerettet.

Verregnete, schlammige Strasse mit zerbombten Gebäude. Soldaten und ein Pferdewagen gehen der Strasse entlang.
Legende: Soldaten in der Stadt Narva an der Ostfront, wo auch Schweizer für die Nationalsozialisten kämpften. Getty Images

Rückkehrer kamen vor Gericht

Die Schweizer Freiwilligen, die für Hitler in den Kampf zogen, waren im Durchschnitt zwanzig Jahre alt, sagt der Historiker Peter Huber. Zu diesem Schluss kommt er aufgrund der Auswertung von Militärgerichtsakten.

Dabei handelt es sich um eine ergiebige Quelle: Denn die Männer, die in fremde Kriegsdienste zogen, mussten sich bei einer Rückkehr in die Schweiz jeweils vor einem Militärgericht verantworten, da der Söldnerdienst 1927 verboten worden war.

Ruf einer Elitetruppe

Zwei Drittel der 800 bis 900 Freiwilligen, die während des Zweiten Weltkriegs die Schweiz verliessen und sich der Waffen-SS anschlossen, stammten aus einfachen Verhältnissen.

Sie versprachen sich im Deutschen Reich einen sozialen Aufstieg: «Viele waren wenig gebildet und verfielen der nationalsozialistischen Ideologie», sagt Peter Huber. «Man suchte Sündenböcke – man fand den Bolschewismus. Man suchte Sündenböcke – und fand die Juden.»

«Die Waffen-SS hatte einen ungeheuren Nimbus»

So erstaunt es nicht, dass die Waffen-SS, die als Elitetruppe galt, für junge Schweizer – aus der Ferne betrachtet – einen Anziehungspunkt bot. Hans Zwimpfer erinnerte sich 1995 in der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens an das Bild, das er damals als 18-Jähriger von dieser Truppe hatte: «Als ich nach Deutschland kam, sah ich, dass die Waffen-SS einen ungeheuren Nimbus hatte. Man bestaunte sie. Die Frauen drehten sich nach ihnen um. Sie waren einfach wer.»

Video
Schweizer in der SS («Rundschau» vom 12.4.1995)
Aus Kultur Extras vom 17.01.2018.
abspielen. Laufzeit 14 Minuten 57 Sekunden.

Steile NS-Karriere für Franz Riedweg

Neben kaum gebildeten und wohl auch naiven Jugendlichen sympathisierten auch reaktionäre, katholische Studenten an den Universitäten Freiburg und Zürich mit der Waffen-SS.

Schwarzweiss-Porträt: Seitenansicht eines jungen Mannes im Anzug.
Legende: Der Schweizer Nationalsozialist Franz Riedweg machte in der Waffen-SS Karriere. Bundesarchiv Berlin

Zu ihnen gehörte Franz Riedweg, Sohn eines Luzerner Hoteliers und angehender Arzt, der sich ab 1933 in der Nationalen Front engagierte, der militanten nationalsozialistischen Organisation in der Schweiz.

Mit Bundesrat Jean-Marie Musy gründete er 1936 die schweizerische Aktion gegen den Kommunismus. In den folgenden zwei Jahren produzierte er den antikommunistischen Propagandafilm «Die rote Pest», der in der Schweiz starke Proteste auslöste und später verboten wurde.

Wehrmachtsbericht nach dem Frühstück

Riedweg zog nach Deutschland um, trat 1938 in die Waffen-SS ein und heiratete die Tochter des Feldmarschalls Werner von Blomberg. Er stieg zum Obersturmbannführer auf und bekam von der NS-Führung den Auftrag, in Berlin die «Germanische Leitstelle» zu gründen und dort Söldner aus ganz Europa für die Waffen-SS zu rekrutieren.

In Stuttgart liess Riedweg 1941 eigens eine Auffangstelle für Schweizer Freiwillige einrichten: das «Panoramaheim». A. A. erinnerte sich 1977 in einer Radiosendung an den Aufenthalt in dieser Villa, die in einem schönen Stadtteil gelegen war. Morgens um sieben seien er und seine Kameraden geweckt worden und zum Frühsport in den Park ausgerückt: «Danach frühstücken wir und hörten den Wehrmachtsbericht. Und dann wurde man eigentlich auf ganz humane und feine Art politisch bearbeitet.»

Schwarzweissfoto: Ein Mann mit Brille in Uniform: Am Kragen sind die Runen der SS zu sehen, am Hut das Totenkopf-Symbol.
Legende: Benno Schäppi wurde nach dem Krieg zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt. Bundesarchiv Bern

Ein überzeugter Nationalsozialist

Die Leitung des Heims übertrug Riedweg 1942 dem Schweizer Benno Schäppi, der ebenfalls in der Frontenbewegung gross geworden war und es in der Schweiz bis zum Landespropaganda-Leiter der Nationalen Front gebracht hatte.

Er sorgte in Stuttgart dafür, dass die Schweizer Freiwilligen auf die nationalsozialistische Ideologie eingeschworen wurden und danach während sechs Wochen im elsässischen Sennheim in einem Ausbildungslager «die militärischen Usancen der deutschen Wehrmacht kennenlernten», wie es Franz Riedweg 1977 in einer Sendung des Radiojournalisten Hans-Rudolf Lehmann formulierte.

In der Schweiz in Haft

Lehmann, der heute als Autor unter dem Namen Lukas Hartmann bekannt ist, gelang es 1977, nicht nur Franz Riedweg, sondern auch Benno Schäppi ausfindig zu machen.

Dieser war bei Kriegsende in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten. Später wurde er in der Schweiz zu sechzehn Jahren Zuchthaus verurteilt, aber bereits nach acht Jahren Haft aus der Strafanstalt Regensdorf entlassen.

Schäppi liess sich ausbürgern und zog nach Norddeutschland, wo ihn Lehmann aufspürte und zum Gespräch traf. Zu seinen Beweggründen, der Waffen-SS beizutreten und das «Panoramaheim» zu leiten, sagte Benno Schäppi, er habe immer schon eine Affinität zum Soldatischen gehabt und diese hochgeachtet: «Für einen überzeugten Nationalsozialisten gleich welcher Nationalität war es klar, dass die Entwicklung des Kriegs nur noch zur Ausweitung des Kampfes gegen die Sowjetunion führen konnte. Und bei diesem Krieg wollte ich dabei sein.»

Soldaten marschieren hintereinander auf einem Feldweg. Der Forderste hebt den Arm zum Hitler-Gruss.
Legende: Die Freiwilligen der Waffen-SS wurden in Sennheim ausgebildet. Sie kamen aus Belgien (Bild) und auch aus der Schweiz. Getty Images

Einsatz im KZ

Die Schweizer Freiwilligen in der Waffen-SS wurden wie andere Ausländer in diesem bewaffneten Verband zum Kampf an die Front geschickt, aber auch als Wachpersonal in Konzentrationslager abkommandiert.

Wie etwa der Berner Offizier Karl Blank, der zum SS-Hauptsturmführer aufstieg und als Wachkommandant im Aussenlager des Konzentrationslagers Plaszow bei Krakau auf Häftlinge losging. Dies hält der Historiker Simon Marti in einer Untersuchung von 2015 über «Himmlers germanische Soldaten» fest. Darin beleuchtet er die Rolle, die ausländische Freiwillige in der Waffen-SS spielten.

Fehlende Aufarbeitung

Woher die Freiwilligen auch kamen – sie waren an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt. Dies bestätigt auch der Historiker Peter Huber: «Die Waffen-SS war massiv in die Verbrechen der Wehrmacht und der deutschen Truppen involviert.»

In diesem Zusammenhang ist auch der Kriegsverbrecher Eugen Wipf zu nennen, dessen Werdegang der Journalist Linus Reichlin bereits 1994 recherchiert und in einem Buch veröffentlicht hat. Ehemalige politische Gefangene berichteten nach dem Krieg, wie brutal sie von Wipf im SS-Sonderlager und Konzentrationslager Hinzert bei Trier behandelt worden waren.

Abgesehen von eindrücklichen journalistischen Recherchen in den vergangenen Jahrzehnten, steht die Forschung zu Schweizern, die freiwillig in Hitlers Kampf gezogen sind, noch am Anfang. Wie es der Historiker Peter Huber formuliert: «Es gab zwar einige reisserische ‹Blick›-Schlagzeilen in den 1990er-Jahren, aber eine Aufarbeitung hat nicht stattgefunden – bis heute nicht.»

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