«Chätzlis». Die Kinder streicheln sie – und dem Vater sträuben sich die Nackenhaare. Müsste das nicht «Chätzli» heissen? Gewiss, wir haben auch andere Probleme zuhause. Oder «Problemlis», wie meine nicht auf den Mund gefallenen Kleinen bald sagen werden, wenn sie so weitermachen.
Und nicht nur sie. «Hey Wichsers!» heisst das Album der Ostschweizer Mundart-Combo Knöppel. «Hey Schätzlis» säuselt die Influencerin. Die Kollegen bestellen «Kafis» in der Kantine. An der Wand eines Kleintierstalls in Zürich steht auf einem Merkblatt: «Hier wohnen 15 Häslis und 17 Meersäulis.»
Fehlt nur noch, dass Journalisten darüber «Sätzlis» brünzeln.
LKWs und Lehrers
Die «Chätzlis» und die «Schätzlis». Auch Markus Gasser hat sie auf dem Schirm – von Berufs wegen. Erst mal zwei «Sächeli» aus dem Munde des Mundartexperten bei SRF: «Der Boom des sogenannten ‹Endungs-S› hat mit dem Einfluss des Englischen zu tun. Und damit, dass wir ‹s Müllers› und ‹s Gerbers› sagen.»
Diese Form sei auch dem Hochdeutschen nicht fremd. Und so beliebt, dass sie sich auf andere Wörter ausbreite. Zunächst auf solche, die mit einem Vokal enden: unsere «Chätzlis», Babys und Pizzas, mittlerweile hängen wir das Plural-S auch LKWs an. Und sogar den Lehrers.
Bedürfnis nach Klarheit
Was aber braucht es, damit sich so ein, nun ja, halbfremder Fötzel wie das Endungs-S im Schweizerdeutschen fröhlich weiter fortpflanzt?
«S Müllers» und der Druck des Englischen sind das Eine. Gasser will ganz grundsätzlich «ein gesteigertes Bedürfnis nach eindeutigen Mehrzahlformen im Schweizerdeutschen» ausgemacht haben.
Es zeige sich etwa im allmählichen Verschwinden des, Vorsicht, «Nullplurals». Wir sagen, sagt Markus Gasser, zum Beispiel schon lange «d’Ört» – oder sogar «d’Örter» statt «d’Ort». Aus «füüf Ross» sind längst «füüf Rösser» geworden.
Der hundskommune Deutschschweizer wird so selbstverständlich «Themene» sagen, wie er schon lange «Chuchene» putzt. Und die meisten, so Gasser, bemerken solche Sprachveränderungen gar nicht.
«Pragmatisch falsch»
Gibt es überhaupt richtig und falsch in einer Sprache wie dem Schweizerdeutschen, für das es noch nicht einmal eine verbindliche Rechtschreibung gibt?
Entschiedenes Kopfschütteln. Bei unserem Endungs-S könne man allenfalls von «pragmatisch falsch» sprechen, sagt Gasser. Will heissen: Im Deutschen ist das Endungs-S nicht neu, «es hat nur seinen Geltungsbereich ausgeweitet.» Und zwar massiv.
Gasser selbst nimmt die Veränderung gelassen hin – wie jede andere auch. Sprachen verändern sich nun mal, seit man sie betrachten kann. Und ziemlich genau so alt ist die Angst, sie werden schlechter, falscher und überfremden.
Zukunftsmusik
Wie Schweizerdeutsch wird das Schweizerdeutsch in 100 Jahren noch tönen? Markus Gasser verweist auf eine Prognose der UNESCO. Die besagt: In 100 Jahren werden drei Viertel aller Sprachen ausgestorben sein.
Wenn das stimme, dann sei das Schweizerdeutsche mittelfristig zumindest gefährdet.
Noch lebt es aber, auch die Zunahme der «Chätzlis» und «Schätzlis» beweist es. Wo das hinführt – es ist nicht abzusehen. Nicht erschrecken also, wenn demnächst ein paar «Rössers» die Sprachgegend unsicher machen.