Stellen Sie sich vor, Sie verrichten präzises Handwerk an einem Menschen und müssen diesem gleichzeitig zuhören und sich mit ihm unterhalten. Das strengt an, könnte man annehmen.
«Das empfinde ich nicht so», sagt Marion Giudici, Coiffeuse in Basel. Sehr selten nur empfinde sie den Kontakt als schwierig. Sie arbeite eine, zwei Stunden an einer Kundin: «Oft sind das spannende Leute, ein schönes Treffen.»
Manchmal muss man sich rauswinden und das Gespräch auf Unverfänglicheres lenken.
Den passenden Smalltalk lernt man nicht in der Ausbildung, sondern im Geschäft bei der Arbeit. Man erhält im Lehrbetrieb Tipps zum richtigen Umgangston bei heiklen Themen.
Fingerspitzengefühl sei gefragt, sagt Marion Giudici: «Manchmal muss man sich auch rauswinden und das Gespräch auf Unverfänglicheres lenken.» Politik und Religion seien schwierige Themen, während der Pandemie waren es auch die Massnahmen und das Impfen.
Dieselben roten Zonen nennt auch Damien Ojetti, Zentralpräsident von Coiffure Suisse, dem Verband der Schweizer Coiffeurgeschäfte. Er ist selbst Friseur und besitzt einen Salon an bester Adresse in Genf. «Der soziale Aspekt ist wichtig in unserem Beruf. Manches abschüssige Terrain gilt es zu vermeiden, um nicht unnötige Probleme zu verursachen.»
Smalltalk wird nicht gelehrt
Zu den Anforderungen für die dreijährige Lehre als Coiffeuse/Coiffeur EFZ zählt der Verband Coiffure Suisse etwa die «Freude am Kontakt mit Menschen» und eine «sehr gute Kommunikationsfähigkeit». In Bezug auf den Umgang mit der Kundschaft erwähnt der Lehrplan lediglich deren Empfang, Betreuung und Verabschiedung sowie die Reaktion auf Reklamationen – alles dienstleistungsbezogene Interaktionen.
Der Smalltalk, dieser zwischenmenschliche Kitt, wird also weder verordnet noch gelehrt. Das muntere Geplauder meistert die Fachkraft aus eigener Kompetenz.
Schluss mit dem Plaudern
Nicht allen sagt es zu, sich beim Coiffeur eine Stunde lang unterhalten zu müssen. Einzelne Coiffeursalons bieten deshalb die Möglichkeit eines «silent cut» an, eines Friseurtermins ohne Smalltalk.
Damien Ojetti von «Coiffure Suisse» kennt dieses Phänomen vor allem aus den Medien. «Konkrete Projekte sind mir bisher nicht bekannt. Das ist noch eine Nische.» Das Bedürfnis nach Ruhe beim Haareschneiden vergleicht er mit der Lust auf Stille beim Bahnfahren, wofür die SBB ja Ruhewagen anbietet.
Smalltalk-lose Coiffeurtermine könnten ausserdem ein Kriterium sein, durch das sich ein Salon von anderen unterscheide, so Ojetti. «Doch das Wort ‹Stille› ist im Coiffeursalon ohnehin sehr relativ. Ein grosser Raum, man arbeitet Sessel an Sessel, Personal und Kunden sprechen, das Telefon klingelt. Um tatsächlich Ruhe zu gewährleisten, wäre im Coiffeurgeschäft ein privaterer Raum nötig.»
Hauptsache, die Frisur stimmt
Schweigen beim Haareschneiden kann auch seltsam wirken, weil sich Kundin und Coiffeur, Kunde und Coiffeuse körperlich nah sind. Wer sonst berührt einen am Kopf und am Nacken? Mit wem verbringt man eine Stunde ohne den kulturell üblichen Sicherheitsabstand von zwei Metern?
Ich versuche nicht, künstlich ein Gespräch hinzubekommen.
«Ich mache das nach Gespür», sagt Marion Giudici. «Ich bin offen dafür, dass ein Gespräch entsteht.» Sogar Freundschaften ergäben sich zwischen ihr und manchen Kundinnen. Sie sagt aber auch: «Ich respektiere, wenn nichts kommt. Ich versuche nicht, künstlich ein Gespräch hinzubekommen.»
Aber je nach Lebenslage und Tagesform tut das Reden und Zuhören genauso gut wie das Schweigen.