Man würde sie gern endlos verlängern: die faulen Tage am Strand, die klaren Nächte im hohen Norden, die pulsierenden Wochen voll fremder Farben und Düfte. Wenn es schon zurückgehen muss in den Alltag, bietet sich vielleicht das Souvenir als probates Übergangsobjekt an: Einen bunten Sari, den man zu binden gelernt hat wie die Frauen vor Ort, ein keltisches Tattoo, das ein bisschen Mystik in die verkopfte Arbeitswelt bringt, eine Paellapfanne, aus der man zuhause Feriengefühle zaubern will.
Wenn der Shitstorm um die Ecke biegt
Aber darf man das eigentlich: Sich das Kulturgut einer fremden Region aneignen? Selina Gomez kassierte für ihren Bindi (auf der Stirn angebrachter Punkt oder Schmuck) an den MTV Movie Awards 2013 einen Shitstorm. Jamie Oliver erging es nicht viel besser, als er ein Rezept für jamaikanischen Jerk Rice vorstellte: Mit dem Original habe das nichts zu tun, ganz abgesehen davon, dass er sich nicht mit den Federn fremder Küchen schmücken solle.
Die Musikerin Ronja Maltzahn wiederum wurde diesen Frühling von der Ortsgruppe Hannover der «Fridays for Future» von einer Veranstaltung ausgeladen, weil ihre Dreadlocks als kolonialistisches Symbol gedeutet wurden.
Der Konflikt im Souvenirshop
Die Anklage lautete stets auf «kulturelle Aneignung». Der Begriff stammt aus den postkolonialen Studien. Er meint die unangemessene Inanspruchnahme fremder Kulturtechniken und Symbole durch die mächtigere Mehrheitsgesellschaft.
Nun wird kaum jemand den privaten Gebrauch einer Paella-Pfanne kritisieren. Aber die Diskussionen zeigen, dass die Wahl im Souvenirshop durchaus konfliktreich ist. Dürfen Weisse einen Kaftan tragen, aus asiatischen Streetfood-Rezepten Kapital schlagen oder sich Schmuck der Tuareg umhängen?
Kulturen gehören niemandem
Hilfestellung in der vertrackten Diskussion bietet Kwame Appiah. Der britisch-ghanaische Philosoph betont in seinem Buch «Identitäten. Die Fiktionen der Zugehörigkeit», Kulturen gehörten niemandem im eigentlichen Sinne. Vielmehr seien sie fluide Phänomene, die entstehen, verschwinden und irgendwo verändert wieder auftauchen.
Appiah erläutert dies anhand der Geschichte der Glasperlen aus Murano. Weil der Handel mit den kostbaren Perlen das Auskommen der Inselbewohner sicherte, verboten die venezianischen Behörden per Androhung der Todesstrafe die Weitergabe des Kunsthandwerks. Die Murano-Perlen gelangten aber als Handelsgut im 17. Jahrhundert an die Elfenbeinküste, wo man sofort versuchte, die Rezeptur zu knacken. Heute ist Ghana berühmt für seine Glasperlen, die zurückgehen auf das Handwerk der Venezianer.
Entscheidend ist die Haltung
Problematisch ist also nicht die Weitergabe, Aneignung und Verfeinerung kultureller Techniken. Appiah kritisiert aber zwei andere Phänomene, die sich hinter dem Vorwurf der «cultural appropriation» oftmals verbergen:
Erstens werden Kulturschätze manchmal einseitig ausgebeutet oder gar gestohlen. Dass der Grossteil der afrikanischen Kulturschätze in europäischen Museen lagern, ist als Problem zwar nicht gelöst, aber zumindest grösstenteils anerkannt. Ebenso problematisch ist die sogenannte «Biopiraterie»: Wenn indigene Rezepturen ohne Beteiligung am Gewinn verwendet oder sogar patentiert werden.
Zweitens ist die Aneignung eines kulturellen Gutes dann problematisch, wenn sie allein der Belustigung dient. Muschelketten oder Fellmützen nicht als Schmuck oder Kleidungsstück zu nutzen, sondern für die Fasnacht, um sich über wilde Indigene lustig zu machen, perpetuiert den kolonialen Blick. Entscheidend ist also, mit welcher Haltung man sich fremde Kulturtechniken aneignet.
Das ist im Grunde nichts Neues: Respekt voreinander müssen wir stets von Neuem einüben und pflegen – erst recht im Umgang mit Fremdem.