Wer gegen Konventionen geht, hat es nicht immer leicht. Das weiss Aris Guzman genau. Mit 22 entschloss sie sich für die vegane Küche, lange vor dem Mainstream. «Meine Familie hat diesen Fakt jahrelang ignoriert». Heute ist die Gesellschaft nachgerückt. Und ihre Familie stolz.
Alles andere als Fleisch und Sossen habe ich belächelt.
Spanferkel, pica pollo, frittierte Innereien. In der Dominikanischen Republik, wo Aris mit sechs anderen Kindern bei der geliebten Grossmutter aufwuchs, gehörte Fleisch genauso zum Alltag wie der Katholizismus. Von ihrer «abuela» hat die heute 38-Jährige die Leidenschaft fürs Kulinarische gerbt.
An der Religion begann Aris schon früh zu zweifeln. «Es störte mich, dass nicht gelebt wurde, was man predigte». Als sie mit 12 Jahren zur Mutter in die Schweiz kam, praktizierte diese bei den Zeugen Jehovas und arbeitete in der Charcuterie. Gegen erstere wehrte sie sich, dem Fleisch blieb sie vorerst treu: Sie startete eine Kochlehre und fasste Fuss als Saucier in der gehobenen Gastronomie.
Wollte ich in meinem Veganismus akzeptiert werden, musste ich die Religion meiner Familie akzeptieren.
«Alles andere als Fleisch und Sosse habe ich belächelt». Bis es ihr eines Tages – bei der Zubereitung einer Schweinehaxe – völlig den Appetit verschlug. «Es war als hätte ich Menschenfleisch auf dem Teller».
Wut, Verlust und Neubeginn
Aris fragte sich, was ihr das Recht gab, Tiere zu essen. Sie begann sich einzulesen zu Klima- und Tierschutzfragen, wurde innert kurzer Zeit Veganerin, kündigte schweren Herzens ihren Job. Die Familie war vor den Kopf gestossen, für Aris begann eine Identitätskrise. Diese kam nicht aus dem Nichts.
Fast gleichzeitig starb ihre Grossmutter. «Ein völlig sinnloser Tod», sagt Aris. Die in der Zwischenzeit durch die Mutter zu den Zeugen Jehovas konvertierte 69-Jährige litt an Herzproblemen und musste operiert werden. Im Spital verhinderten die Glaubensanhänger jedoch die lebensrettende Bluttransfusion. Aris und ihre Familie konnte nur zuschauen, wie sie starb. «In mir machte sich eine riesengrosse Wut breit – auf die Religionen, meine Familie, meine Heimat».
Die Rückkehr zu den (kulinarischen) Wurzeln
In dieser Zeit begann Aris die Vielfalt der vegetarischen Küche für sich zu entdecken, wurde Küchenchefin im ersten veganen Restaurant der Schweiz. Sie reiste nach Berlin, Kopenhagen, wo der Veganismus schon weiter entwickelt war, «während man in der Schweiz froh war um Sojamilch». Zur Familie hielt sie Distanz, sieben Jahre lang reiste sie nicht in die Heimat zurück.
Plötzlich begriff ich, dass ja alles da war, das ich brauchte. Ich musste es nur kombinieren.
Doch irgendwann habe sie gemerkt, dass ihr der Hass nur schadete. «Wollte ich in meinem Veganismus akzeptiert werden, musste ich die Religion meiner Familie akzeptieren, auch meiner Mutter verzeihen». Das habe vieles in Bewegung gesetzt.
«Plötzlich begriff ich, dass ja alles da war, das ich brauchte. Meine vegane Küche und meine Wurzeln. Ich brauchte sie nur zu kombinieren». So begann sie sich für die Küche ihrer Ahnen, für deren Bräuche und Traditionen zu interessieren. Für den Soulfood, der physisch und psychisch nährt – Erdnüsse, Süsskartoffeln, Gewürze oder den Maniok, der in der Indigenen Kultur heilig war.
Ihre Verwandten essen immer noch munter Würste, doch sie unterstützen Aris, wo sie nur können. Im Soulfood der Ahnen findet Aris auch Spiritualität zurück. «Eine Religiosität, in der nichts über der Natur und den Menschen steht. Das imponiert und ist tröstlich».