Harald Welzer will es nicht bei der allgemeinen Zukunftsverdrossenheit belassen. Er findet, wie unsere Zukunft auszusehen habe, gehe jeden etwas an: «Moderne Gesellschaften leben davon, dass es einen Zukunftsentwurf gibt, wo man sich als Bürgerin und Bürger einschreiben können muss».
Damit meint Welzer, dass Bürger eine eigene Haltung entwickeln und selbst gestalten sollen. Und er ist der Meinung, Veränderung sei absolut nötig, weil es so wie bisher nicht weitergehen könne.
Konsumieren bis zum Kollaps
Unser Problem sei nicht die Not, unser Problem sei der Wohlstand, so Welzer. Wie die Made im Speck lebten wir im Turbokapitalismus: «Der ist darauf angewiesen, dass Menschen ohne Unterlass neue Bedürfnisse entwickeln, und dass es Wirtschaftszweige gibt, die diese neu entwickelten Bedürfnisse befriedigen.
Die Menschen konsumieren also so viel wie nie zuvor. Zwar wüssten sie um die Gefahr fürs Klima, trotzdem würden einige zum Weihnachts-Shopping nach New York fliegen und andere einen überdimensionierten Stadtgeländewagen fahren. Für Welzer sind das Menschen, die nach dem Credo leben «Wenn das nicht für immer geht, dann nehme ich jetzt soviel ich kriegen kann.»
Dass dieses wirtschaftliche Prinzip letztlich zum Kollaps führt, würden viele dabei einfach ausblenden: «Jedes Produkt braucht Rohstoffe, jede Rohstoffgewinnung braucht Energie. Das alles richtet Zerstörung an, und hinterher muss der ganze Kram noch entsorgt werden. Über diesen Elefanten in all unseren Wohnzimmern sprechen wir nicht.»
Schrittchenweise zur Besserung
Was ist also zu tun? Harald Welzer hat keinen Masterplan parat, er empfiehlt kleine Schritte, die er «konkrete Utopien» nennt. Wie Legosteinchen ergeben sie zusammengesetzt ein grosses Ganzes. So könne sich nachhaltig etwas verändern.
Wenn es zum Beispiel immer mehr Menschen wichtig wäre, aufs Auto zu verzichten, dann würden vielleicht mehr Politiker die Wünsche nach einer autofreien Stadt umsetzen.
Als weiteres Beispiel nennt Welzer unser Zuviel an Arbeit. Er schlägt vor: «Wie wäre es, wenn wir einfach weniger arbeiten würden?» Dann müsste man den ganzen Stress auch nicht durch Konsum und schöne Dinge kompensieren. Und das würde auch gleich unsere Ressourcen schonen.
«Modernisierung bedeutet Konflikt»
So schön die Vorschläge von Harald Welzer sind: Sie sind theoretische Konstrukte, die nicht für jedermann umsetzbar sind. Es gibt Menschen in Europa, die auf das Auto angewiesen sind – vor allem da, wo der Nahverkehr nicht so gut ausgebaut ist. Und es gibt Menschen, die können es sich nicht leisten, weniger zu arbeiten.
Und schliesslich gibt es Menschen, die ganz bewusst nichts verändern wollen. Die auf ihren Lebensstandard und all die Annehmlichkeiten nicht verzichten wollen. Was macht man mit denen?
Harald Welzer sagt, die seien ihm schlichtweg egal: «Der Prozess, da hinzukommen, verläuft über Konflikte. Denn Menschen möchten ihre Besitzstände, ihre Gewohnheiten ungern freiwillig aufgeben. Aber Modernisierung bedeutet immer Konflikt.»