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Begegnung mit Richard Sennett am Theater Spektakel Zürich
Aus Kultur-Aktualität vom 23.08.2024. Bild: Zürcher Theater Spektakel / Kira Kynd
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Soziologe Richard Sennett «Politische Darsteller und Verführer sind gefährlich»

Bevor im Herbst sein neues Buch auf Deutsch erscheint, war Soziologe Richard Sennett zu Gast in Zürich. Seine Zeitdiagnose: Die Verführungskraft «politischer Performer» wie Donald Trump ist demokratiegefährdend.

«Wir alle sind Performer», sagt Soziologe Richard Sennett. «Wir alle wollen Wirkung erzielen, sei es als Eltern gegenüber den Kindern, sei es als Personen des öffentlichen Lebens.»

Richard Sennett

Soziologe

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Der US-amerikanisch-britische Soziologe Richard Sennett gehört zu den wichtigsten Intellektuellen unserer Zeit. Im Zentrum seines Denkens steht der Mensch und die Frage, was der Kapitalismus, die heutige Arbeitswelt und die zunehmende Verstädterung aus uns machen. Sennett lehrt Soziologie und Geschichte an der New York University und an der London School of Economics and Political Science.

Die nonverbale Kommunikation sei heutzutage besonders wichtig geworden, weil sich Worte abgenutzt hätten, meint der 81-jährige.

Verführungskraft politischer Performer

Sennets Analyse der aktuellen Zeit: «Da Worte schal geworden sind, zielt die Darstellung heute mehr auf die Eingeweide, auf ein nichtverbales Echo.» Wenn einer wie Donald Trump Klischees ständig wiederhole, gehe es darum, dass die Leute glauben, was sie hören: «Das ist eine sehr besondere Art der Performance.»

Person in rotem Krawattenanzug zeigt während einer Kundgebung auf der Bühne.
Legende: Weiss, die Macht der Polit-Performance für sich zu nutzen: Präsidentschaftskandidat Donald Trump bei einer Wahlkampfrede in Asheboro, North Carolina. Keystone / AP Photo / Julia Nikhinson

Auch in den sozialen Medien würden einem Botschaften regelrecht eingetrichtert. An sich sei das Performen, das Darstellen weder gut noch schlecht, aber das Streben nach Wirkung lasse sich unterschiedlich einsetzen. Denn der Auftritt, sagt Richard Sennett, ist heute wichtiger als der Inhalt.

Demokratie in Gefahr

Das sei nicht nur ein Problem der äussersten Rechten, sondern teilweise auch der Linken. «Dass sie ihre Ideen immer wieder wiederholen, bedeutet auch, dass diese Ideen weniger lebendig wirken und ihre Präsentation wichtiger wird.»

Wenn politische Performer auf Verführung und Gehorsam setzen, ist das gefährlich.
Autor: Richard Sennett Soziologe

Deshalb können politische Darsteller gefährlich sein: «Wenn politische Performer auf Verführung und Gehorsam setzen, ist das gefährlich. Aber es unterscheidet sich nicht von dem, was etwa Darsteller in den Künsten tun. Ein Publikum in den Griff kriegen, es zum Schweigen bringen oder zu lauter stimmlicher Zustimmung.»

Zwei Personen sitzen in Sesseln auf einer Bühne.
Legende: Auch er, ein Performer: Richard Sennett beim Podium auf der Seebühne beim Zürcher Theater Spektakel. Zürcher Theater Spektakel / Kira Kynd

In dieser Verführungskraft des Performers und im Verlangen nach Gehorsam liege eine grosse Gefahr für die Demokratie: «Wenn die Leute nicht mehr bewerten, was sie hören, wenn sie nicht brechtsche, skeptische Zuhörer sind.» Dann, wenn Menschen einem Darsteller also bloss zujubeln oder Gegner ausbuhen.

Differenziertes Debattieren

Ist angesichts der politischen Polarisierung gerade in den USA und in Europa eine konstruktive Diskussion überhaupt noch möglich? Ja, davon ist Richard Sennett überzeugt.

Doch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssten sich verändern. Denn Debatten laufen heute oft auf Plattformen wie X und Facebook. Monopolkapitalistische Strukturen nennt sie Sennett.

«Um zivilisiertere Formen des Debattierens zu ermöglichen, müssen wir zuerst diese Monopole auseinandernehmen, um unterschiedlichere Plattformen und Stimmen zu ermöglichen.» Differenzierte Diskussionen sind dringend nötig, sagt Richard Sennett, gerade auch aktuell im US-amerikanischen Wahlkampf.

Buchhinweis

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Richard Sennetts aktuelles Buch «The Performer: Art, Life, Politics» erscheint diesen Oktober in deutscher Übersetzung.

Hinweis

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Das Zürcher Theater Spektakel dauert bis Sonntag, 1. September.

Im Rahmen der Workshop-Reihe «Komplexität aushalten. Konflikte umsorgen. Kunst befragen» hielt Richard Sennett am 21. August einen Vortrag.

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 23.8.2024, 8:15 Uhr. ; 

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