Kennen Sie Dr. Norden? Dr. Daniel Norden? Wenn nicht, können Sie ihn an jedem Kiosk kennenlernen. Meist liegen die Hefte verschämt versteckt in einer dunklen Ecke. Aber die zumeist weiblichen Leserinnen finden sie trotzdem: Seit 35 Jahren erscheint alle zwei Wochen ein Heft mit den Abenteuern des erfolgreichsten Romanarztes im deutschsprachigen Raum, im Dezember ist Folge 1000 an der Reihe.
Wer die Autorin des Dauerbestsellers kennenlernen will, hat es schon schwieriger. Patricia Vandenberg ist ein Pseudonym, ein gut gehütetes. Auf der Internet-Seite des Verlags gibt es nur ein Foto und eine Kurzbiografie in bester Arztroman-Manier: Viel heile Welt, etwas Realität. Nach einigem Nachbohren aber lüftet der Verlag das Pseudonym, und Patricia Vandenberg alias Elke Schiede erlaubt einen Besuch bei sich zuhause.
Ein Idyll von einer Familie
Sie wohnt im bayerischen Städtchen Ebersberg, 30 Kilometer ausserhalb von München. Von ihrem Reihen-Einfamilienhaus aus sind es nur Minuten ins Grüne. Elke Schiede bittet zum Gespräch an den grossen Esstisch in der Küche. Kurz steckt eine Tochter den Kopf durch die Tür, sie ist eines von vier Kindern. Ein liebesbedürftiger Zwergpudelmischling und eine Katze vervollständigen das Idyll. Ein Idyll, wie es auch von Dr. Norden und seiner siebenköpfigen Familie in den Heftromanen vorgeführt wird: «Er ist sehr charismatisch, gut aussehend und auch nach Jahren noch glücklich verheiratet», sagt Elke Schiede.
Und zu alledem ist der Tausendsassa Daniel Norden auch noch ein Traum von einem Arzt, der sich unendlich viel Zeit nimmt und natürlich Hausbesuche macht. Sie selbst habe allerdings keinen solchen Arzt sagt die Autorin – obwohl ein solches Prachtsexemplar in ihrer Familie gerade dringend gebraucht würde: «Eine Verwandte ist schwer erkrankt und fühlt sich von den Ärzten allein gelassen. Ein Dr. Norden wäre die Rettung.»
Am Ende wird alles gut
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Im Roman aber herrscht heile Welt: ein Traumarzt, dazu Romantik, züchtige Liebe – das sind die Zutaten für eine «Dr. Norden»-Geschichte. Und wenn die Harmonie einmal getrübt wird durch eine Krankheit oder sogar durch einen Bösewicht, dann nur, damit die Sache am Schluss herzerwärmend und in Minne aufgelöst werden kann. «Das macht einen Teil des Erfolgs aus», sagt Elke Schiede, «diese Sicherheit: am Ende wird alles gut.»
Aber auch wenn unverrückbar ist, dass am Ende alle happy sind, darf es dazwischen trotzdem auf keinen Fall zu düster werden. Aktuelle politische Geschehnisse sind tabu, genauso wie Kindsmisshandlungen oder gar der Tod eines Kindes. Ganz unverrückbar ist das allerdings nicht. In den 35 Jahren, in denen Dr. Norden seine Patientinnen kuriert – und wohl ein kleines Stück auch die Leserinnen –, in dieser langen Zeit haben sich die Grenzen etwas verschoben, sagt Elke Schiede. Wenn sie behutsam vorgeht, haben auch aktuelle Themen Platz: zum Beispiel Jugendliche mit Magersucht, solche, die sich ritzen oder Tablettensucht bei alten Menschen.
Selbst Scheidungen schocken die Fans nicht mehr ganz so arg. Darum können wir hier ein grosses Geheimnis von Elke Schiede alias Patricia Vandenberg lüften, ohne allzu grosse Folgen befürchten zu müssen: Im Gegensatz zu ihrem Helden Dr. Norden ist die Autorin seit längerem geschieden und zieht ihre Kinder alleine auf: «Ich bin die Ernährerin und die Mutter, verkörpere die heile Welt also in einer Person.»
Alle zwei Wochen 65 Seiten
Die 45-jährige Elke Schiede schreibt also, um ihre Familie zu ernähren. Sie tut dies zuhause, am Küchentisch, im Wohnzimmer, wenn der jüngste Sohn, er ist 14, in der Schule ist. Romantisch geht es dabei nicht zu. Pro Jahr muss Schiede 26 Romane abliefern. Zwei Wochen für einen Roman von stets 65 Seiten: Für Recherche in einem Spital oder gar eine Schreibblockade bleibt da keine Zeit. Nur für Ideensuche und Kontrolle der medizinischen Fakten.
Seit über zehn Jahren und etwa 300 Folgen hält Elke Schiede diesen horrenden Takt durch. Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum zehn Jahre? Es hiess doch, den Dr. Norden gäbe es seit über 35! Dann haben Sie recht. Elke Schiede schreibt «Dr. Norden» in zweiter Generation. Bis Folge 698 dichtete ihre Schwiegermutter. Als die in ihren Achtzigern langsam genug hatte, erkor sie ihre Schwiegertochter zur Nachfolgerin. Die sagte gerne zu, weil sie so zuhause bei ihren Kindern arbeiten konnte.
Elke Schiede musste sich in dieses vorgegebene Universum einarbeiten. Trotz grossem Enthusiasmus habe es anfangs auch schwierige Zeiten gegeben: Ihre rebellischen Phasen, wie sie es nennt. Die waren dadurch gekennzeichnet, dass sie zu realitätsnah schrieb oder zu kompliziert. Dann wurde sie von ihrer Lektorin zurückgepfiffen.
Ein Gefühl der Untreue
Zu alledem kamen die Reaktionen mancher Bekannter dazu. Früher habe es ihr Mühe gemacht, wenn diese automatisch annahmen, die Autorin sei so einfach gestrickt wie ihre Geschichten. Heute scheint sie das entspannter zu nehmen, zum Beispiel die Haltung ihres jüngsten Sohnes: Der 14-Jährige findet die «Schnulzen», die seine Mutter schreibt, «ganz peinlich» – obwohl er noch nie eine gelesen hat. «Das macht mir aber nichts aus», sagt Elke Schiede.
Selbst liest sie auch kaum Heftromane. Lieber psychologische Sachbücher oder Belletristik. Und manchmal kommen dann Gefühle der Untreue auf zu Dr. Norden. Dann würde sie am liebsten einmal etwas ganz anderes schreiben, etwas mit mehr Spannung. Mit der Liebe im Roman habe sie es nämlich gar nicht so arg, verrät sie. Aber keine Panik, liebe «Dr. Norden»-Fans: Elke Schiede weiss, was sie Ihnen schuldet: Verlässlichkeit, viele weitere Folgen mit Dr. Norden – und vor allem: jedes Mal ein Happy End.