Das Vergnügen steht an erster Stelle: «Ich mache Sport wegen des Spassfaktors. Natürlich gibt’s Momente, in denen es anstrengend ist, aber am Schluss bleibt mir der Spass im Kopf», sagt die 18-jährige Gymnasiastin Amerie Tran.
Und das Aussehen? «Ich fühle mich wohler, wenn ich etwas breiter bin», erklärt der 19-jährige Maturand Felix Harenberg. «Vorher war ich mit meinem Aussehen nicht ganz zufrieden.» Die beiden stehen für eine Generation, die ihre Freizeit sehr gerne beim Sport verbringt.
Sportbegeisterte Schweiz
82 Prozent der Schweizer Bevölkerung treiben Sport – 18 Prozent sogar sieben Stunden pro Woche oder länger. Zu dieser sportlichsten Gruppe gehören Felix Harenberg und Amerie Tran.
Harenberg, der diesen Sommer an der Kantonsschule Baden die Matura erwirbt, bewältigt wöchentlich fünf Sessions im Fitnessstudio.
Amerie Tran, Schülerin des gleichen Gymnasiums, trimmt sich zweimal in der Woche im Kraftraum der Schule und dreimal mit dem Volleyball-Verein. Dazu kommen Meisterschaftsspiele.
Sie illustrieren einen Befund der Studie «Sport Schweiz 2020»: Krafttraining gewinnt seit 20 Jahren deutlich an Popularität. Jeder Fünfte hat ein Abo in einem Fitnesscenter. Dort trainieren hauptsächlich Jüngere und Menschen mit höherem Einkommen. Städterinnen und Städter trainieren ausserdem häufiger als Leute vom Land.
In meinem Freundeskreis treiben alle Sport.
«Ein sportlicher Körper hat heute in der Gesellschaft eine hohe Bedeutung. Im Fitnesscenter lässt sich das perfekt trainieren», sagt die Sportsoziologin Rahel Bürgi. Die Mitautorin der Studie «Sport Schweiz», die im Auftrag des Bundesamts für Sport (Baspo) alle sechs Jahre erscheint, hebt zudem die Flexibilität der Studios hervor.
Amerie Tran und Felix Harenberg können an den Maschinen arbeiten, wann immer es in ihren Zeitplan passt. Genau wie viele andere, die sich individuell und unorganisiert fit halten.
Warum Sport treiben?
Gesundheit, Fitness, ein athletischer Körper: Diese Motive erscheinen auch im Forschungsbericht «Sport-Schweiz-Light» (2022). Mit Blick aufs Alter erwähnen zahlreiche Befragte, dass sie sich die Mobilität im Alltag erhalten wollen. Viele geben an, sie hielten sich gerne in der Natur auf, würden sich an Bewegung freuen und dabei entspannen.
Der Sport macht es möglich, den Stress zu vergessen oder zu reduzieren.
«Sport lenkt vom Alltagsstress ab», sagt Amerie Tran, «wenn ich im Kraftraum bin oder Volleyball spiele, sind jene Probleme gar nicht da».
Felix Harenberg bestätigt das: «Man muss nicht über Hausaufgaben nachdenken, sondern fokussiert sich ausschliesslich darauf, die richtige Übung richtig auszuführen. Die physische Anstrengung unterstützt das Abschalten.»
Für ein Weilchen nicht erreichbar zu sein und sich auszuklinken, sei ein zentrales Sportmotiv, hält Rahel Bürgi fest, die auch Sportsoziologie an der ETH Zürich unterrichtet. «In der heutigen Gesellschaft mit ihrem Optimierungszwang muss man ständig To-do-Listen abarbeiten. Der Sport macht es möglich, den Stress zu vergessen oder zu reduzieren.»
Training für Körper und Seele
Felix Harenberg strukturiert mit dem Fitnessstudio seine Woche: fünfmal Training, zwei Ruhetage. Es befriedigt ihn, physische Fortschritte zu erleben. Nach den zweistündigen «Push days» sei er zwar ausgepumpt, fühle sich gleichzeitig jedoch stolz, weil er einiges erreicht hat: bessere Fitness und ein gestärktes Selbstwertgefühl.
Amerie Tran empfindet das Training als ausgesprochen belebend: «Ich fühle mich fitter und wacher. Nach dem Training spüre ich alle Muskeln. Alles ist aktiv dabei. Ein Erfolgsgefühl.» Der Sport sei für sie wie ein Glückshormon, das ausstrahlt.
Fast alle sind im Gym
«In meinem Freundeskreis treiben alle Sport», sagt Amerie Tran. «Fitness, Handball, Basketball, Karate, Tanzen … Sport gehört einfach zum Alltag. Dem kann man gar nicht entkommen.» Das zeigen auch die Zahlen: 59 Prozent der 15- bis 24-Jährigen sind mehrmals pro Woche sportlich aktiv.
Gleiches erlebt Felix Harenberg: «In meiner Klasse gehen von 23 Leuten alle ausser zwei ins Gym. Viele sind in Vereinen: Basketball, Unihockey, Fussball.»
Individueller, nicht organisierter Sport habe bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zugelegt, sagt Rahel Bürgi: «In einem gewissen Alter wird die Flexibilität wichtiger. Kinder bis 13 Jahren dagegen betätigen sich meist im Verein.»
Von Bevölkerungswachstum und Sportboom haben die Vereine gemäss der Studie «Sportvereine in der Schweiz» (2022) zwar nicht profitieren können, doch sie bleiben die wichtigsten Sportanbieter. Die Mitgliederzahlen sind stabil: 22 Prozent der Bevölkerung, also 2.2 Millionen Menschen, wirken in einem oder mehreren Sportvereinen mit. Die Zahl der Aktivmitglieder wächst bei Kindern und Jugendlichen, bei jüngeren Erwachsenen sinkt sie.
Einen Grund dafür sieht Soziologin Bürgi darin, dass man als Kind oft sehr früh in einen Sportverein eintrete. Nach langer Vereinskarriere wollten viele als Teenager Neues ausprobieren. Häufig seien sie durch Schule und Lehre stark beansprucht.
Krafttraining ist in, Tanzen ist out
Unter jungen Leuten seien Fussball, Volleyball und Basketball ausserordentlich populär, ebenso Kampfsportarten, sagt Rahel Bürgi. Am beliebtesten sei aber seit Längerem der «helvetische Fünfkampf»: Wandern, Radfahren, Schwimmen, Skifahren und Jogging.
Grosse Gewinner der Jahre 2019 bis 2022 sind laut Forschungsbericht «Sport Schweiz Light» (2022) Krafttraining, Walking, Schneeschuhlaufen, Mountainbike und Inline-Skating. Während etwa Tanzen, Turnen, Fussball und Tennis an Beliebtheit eingebüsst haben.
«Bis vor 40 Jahren war Sport vor allem die Angelegenheit junger Männer und der Vereine», erklärt Bürgi. Seit 1980 fördere der Staat unter dem Gesundheitsaspekt den Sport stärker.
Deshalb treiben heute mehr und unterschiedliche Bevölkerungsgruppen Sport. Die Frauen und die Älteren haben aufgeholt. «Der Sport hat sich demokratisiert, und das Sportverständnis wurde breiter», erklärt Bürgi. Anders als heute habe vor 40 Jahren kaum wer das Wandern als Sport bezeichnet.
Der Einfluss des Strukturwandels
Mitverantwortlich für den Sportboom ist gemäss Rahel Bürgi der Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft: «Früher, als man körperlich arbeiten musste, hatte man die Freizeit nicht, um viel Sport zu treiben. Und körperliche Aktivität hatte man bei der Arbeit.»
In der Dienstleistungsgesellschaft habe der Körper bei der Arbeit an Stellenwert verloren. Interessanterweise sei er gleichzeitig in der Gesellschaft aufgewertet worden – weil man sich oft nicht mehr physisch anstrengen muss. Sondern, weil man es will.