Kaum ein Gleichstellungsthema sorgt für mehr Kontroversen als die sogenannte genderneutrale Sprache. Die Einen sehen darin die Diktatur der politischen Korrektheit, den Anderen geht es um sprachliche Sichtbarmachung und Wertschätzung aller Geschlechter.
Die Pros und Kontras von Martin Luginbühl, Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Basel, und der Journalistin Claudia Wirz.
Braucht es eine genderneutrale Sprache?
Claudia Wirz: Nein. Eine genderneutrale Sprache hilft nicht, Diskriminierungen zu vermeiden. Wird unsere Welt besser, wenn wir statt «Fussgängerzone» «Flanierzone» sagen? Mit Sicherheit nicht. Ich glaube auch, dass die allermeisten Menschen diese Meinung teilen.
Es gibt Umfragen im deutschsprachigen Raum, die zeigen, dass die Mehrheit der Menschen gegen die Gendersprache ist – sogar die Mehrheit der Frauen. Sie lehnen diese Sprache ab, weil sie eine akademische Kopfgeburt ist, technokratisch und künstlich.
Martin Luginbühl: Nur weil etwas akademisch ist, ist es nicht per se schlecht. Es ist aber auch vom Phänomen her nichts Akademisches. Sprachwandel kann nur stattfinden, wenn er breit abgestützt ist.
Es hat sich schon in ganz vielen Beispielen gezeigt, dass eine gendergerechte, diskriminierungsarme Sprache einem Bedürfnis entspricht. Beispielsweise benützt heute niemand mehr das Wort «Fräulein». Das ist nicht verordnet worden, das hat sich durchgesetzt – gemeinsam mit der Einsicht, dass dieses Wort diskriminierend ist.
Geht es bei der Gendersprache um Weltanschauungen und Ideologien?
Wirz: Hinter der Gendersprache steckt die Ideologie der Gleichstellungslobby, die um alles in der Welt Minderheiten sichtbar machen will. Diese Ideologie soll in die Köpfe eingeimpft werden – und zwar mit einer Vehemenz, dass jene, die nicht gendern wollen, plötzlich als Böse dastehen. Gendersprache macht aus jedem Satz eine Gewissensprüfung, eine Tugendschau.
Ich habe nichts dagegen, wenn jemand die Gendersprache benutzt. Ich habe etwas dagegen, wenn eine moralische Instanz uns allen vorschreibt, so zu sprechen und zu schreiben.
Man muss sich klar machen, dass es keine Sprache ohne Ideologie gibt.
Luginbühl: Man muss sich klar machen, dass es keine Sprache ohne Ideologie gibt. Auch die heutige Sprache enthält Ideologien und Wertvorstellungen. Wir sagen etwa «verbrüdern» und «jedermann». Darin steckt das Prinzip, dass der Mann die Norm ist.
Auch beim sogenannten «generischen Maskulinum» – also wenn wir «Ärzte» sagen, und damit die Ärztinnen mitmeinen – denken die meisten Menschen an Männer und nicht an beide Geschlechter. Sprache hat einen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und auf die Konzepte in unseren Köpfen.
Schafft die Gendersprache Sprachmonster?
Wirz: Im Schulbereich hat sich bereits der Begriff «SuS» etabliert. Das heisst «Schülerinnen und Schüler». Bei der Gendersprache ist der Mensch also nicht mehr erkennbar. Statt von Schülern redet man dann von «SuS», statt «Lehrer» sagt man «Lehrpersonen», statt «Putzfrauen» «Putzkräfte».
Ich finde es bedenklich, dass Fünfjährige schon von «Kindergarten-Lehrpersonen» reden. Wie weit soll der Staat das in Institutionen und im Bildungsbereich fördern, wo die Gendersprache bereits halbobligatorisch ist? Das ritzt an unseren Freiheitsrechten und ist demokratisch nicht legitimiert.
Luginbühl: Dass die Sprache schwerfällig werden kann, ist ein wichtiger Einwand. Man braucht beim Gendern variantenreiche, intelligente Umsetzungen. Abgesehen davon ist für mich eine Person kein abstrakter Begriff und die «Lehrperson» eine einfache geschlechterneutrale Alternative.
An diesen Begriff haben wir uns bereits gewöhnt und unsere Vorstellungen angepasst. Man muss die Idee von der Sprache korrigieren, sie sei wie eine Pflanze, die man im Wachstum nicht stören darf. Menschen benutzen die Sprache und beeinflussen sie. So spiegelt die Sprache sozialen Wandel und löst ihn auch aus.