Sprachforschenden der Universität Zürich ist es gelungen, nicht verwandte Sprachen weiter als 10'000 Jahre zurückzuverfolgen. Überraschende Entdeckung: Die Grammatik, also die Struktur der Sprache, und das genetische Erbe hängen eng zusammen.
Man habe Ähnlichkeiten zwischen Sprachen gefunden, die heute nicht nebeneinander gesprochen werden und die in den letzten paar 100 Jahren auch keinen Kontakt hatten, sagt Balthasar Bickel, Professor am Institut für Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Zürich.
Heute verschieden, einst vereint
Untersucht haben die Sprachwissenschaftlerinnen das Phänomen anhand von Sprachen aus Nordostasien: Japanisch, Koreanisch, vor allem aber auch anhand von selten gewordenen Sprachen wie Ainu, Tungusisch oder Jukagirisch.
Trotz ihrer heutigen Unterschiedlichkeit seien einige der untersuchten Sprachen in ihrer Grammatik ähnlich. Und dies korreliere mit der genetischen Verwandtschaft ihrer Sprecherinnen und Sprecher, sagt Bickel. Das heisst: Diese Populationen müssen vor langer Zeit engen Kontakt gehabt haben.
Heute sprechen sie nicht mehr verwandte Sprachen und leben weit voneinander entfernt. Aber die Grammatik ihrer Sprachen ähnelt sich nach wie vor.
Zum Beispiel der Satzbau
Aber wann haben Sprachen eine ähnliche Grammatik? Balthasar Bickel verweist als Beispiel auf eine spätere grammatikalische Annäherung aus dem europäischen Sprachraum, die seit dem Mittelalter belegt ist.
«Wir stellen alle das Verb in die Mitte», erklärt Bickel. Das mache man in verwandten Sprachen, zum Beispiel in denjenigen indoeuropäischen Sprachen nicht, die in Indien gesprochen werden. «Dort stellt man das Verb ans Ende.»
«Ein methodischer Durchbruch»
Untersucht wurde also die grundsätzlich Struktur der Sprachen. Neu ist, dass die Linguisten diese Struktur mit den Erbinformationen ihrer Sprecherinnen und Sprecher verknüpfen.
Bickel spricht von einem methodischen Durchbruch: «Was wir gemacht haben, war bisher gar nicht möglich, weil man die entscheidenden Methoden nicht hatten.» Damit werde es möglich, die sprachliche Entwicklung der Menschen viel weiter zurückzuverfolgen als bisher, sagt Bickel. Und dies sogar ohne schriftlichen Quellen.
Die Forschenden wollen die Untersuchung nun ausdehnen und planen, die Studie weltweit durchzuführen – überall dort, wo entsprechende Daten vorliegen.
Wettlauf gegen die Zeit
Wie viel die Forscherinnen und Forscher über diese weit zurückliegende Sprachgeschichte herausfinden können, lässt sich kaum voraussagen. Doch die neuen Methoden der digitalen Linguistik bringen die Sprachwissenschaft derzeit stark voran.
Ein Problem dabei ist allerdings, dass die Zahl der Sprachen laufend abnimmt. Derzeit werden auf der Welt noch über 7'000 Sprachen gesprochen. Viele stehen aber kurz vor dem Verschwinden, da die Zahl der Sprechenden stark abnimmt.
Bickel und seine Forschungskolleginnen und Kollegen müssen sich also sputen, wenn sie die Sprachgeschichte der Menschheit so weit wie möglich rekonstruieren wollen.