Wer sie einmal getroffen hat, wird sie nicht so schnell wieder vergessen. Ruhig und mit eindringlicher Stimme spricht die finnische Erfolgsautorin Sofi Oksanen über die dunklen Seiten der Geschichte Osteuropas. In ihrem neusten Buch «Putins Krieg gegen die Frauen» analysiert sie, weshalb der russische Angriffskrieg auf die Ukraine in erster Linie ein Krieg gegen die Frauen ist.
Sexuelle Gewalt als Kriegsstrategie
«Die Ukraine hatte nach ihrer Unabhängigkeit ein Problem mit Oligarchen und Korruption. Geld und Macht waren in Männerhand, genauso wie in Russland», erklärt Oksanen. Aber dies hätte sich in den letzten zehn Jahren geändert: «Heute sind sehr viele Frauen aktiv in der Politik, der Wirtschaft und auch in der Armee.» Ein Zeugnis dafür, dass sich ein postsowjetisches Land aus eigenem Antrieb reformieren könne.
Weil die russische Führung Angst habe, dass dieses Beispiel Schule machen würde, gehe sie gezielt gegen Frauen vor, sagt Oksanen. «Sexuelle Gewalt ist Teil der russischen Strategie. Man hat das lange nicht erkannt und ging von Einzelfällen aus.» Doch heute sei klar, dass die Vergewaltigung System habe. Das Ziel: «Die nationale Identität zu zerstören, indem man Familien zerstört. Das wirkt über Generationen hinaus.»
Mahnerin der ersten Stunde
Das erzählte Sofi Oksanen bereits 2014, als sie in der estnischen Hauptstadt Tallinn über ihren Roman «Als die Tauben verschwanden» sprach. Sie prophezeite, dass der damalige Einmarsch Russlands auf der ukrainischen Halbinsel Krim bloss der Anfang eines viel grösseren Unterfangens wäre. Zudem solle man sich in Acht nehmen vor den Cyberattacken dieses Regimes auf westliche Länder. Oksanen sollte Recht behalten.
«Ich war nicht die Einzige», sagt sie heute. Historikerinnen wie Anne Applebaum oder Timothy Snyder hätten ebenfalls vor Russlands Regime gewarnt. Und natürlich viele Leute in den baltischen Staaten, die genauso wie Finnland an Russland grenzen. «Nur ein Land ist jemals in Finnland einmarschiert: Russland. Zudem ist meine Mutter Estin, und Estland war Teil der Sowjetunion.» Da erschien es ihr nur logisch, in die Geschichte einzutauchen.
Keine direkten Befehle – wie bei den Nazis
Als Ende der 1990er-Jahre die sowjetischen Archive geöffnet wurden, habe sie sich drauf gestürzt: «KGB-Berichte zu lesen, war für mich als Schriftstellerin wahnsinnig interessant. Man schrieb im Passiv. Es gab keine direkten Befehle, sondern nur Empfehlungen. Wie in Deutschland unter den Nazis.» Anhand der verwendeten Sprache lasse sich der Grad der (Un-)Freiheit innerhalb eines Systems feststellen, so Oksanen.
Man müsse zuhören, wie die Menschen redeten, welche Begriffe sie verwenden würden. Russische Medien pflegten eine Kultur des Hasses: «Wenn man seinen Nachbarn nicht als menschliches Wesen ansieht, ist es viel einfacher, Kriegsverbrechen zu begehen und Frauen, Kinder und Kriegsgefangene zu vergewaltigen. Sie sind ja keine Menschen.»
Sprache sei zentral. Oksanen schreibe, um den Frauen, die sie «Überlende» nennt, eine Stimme zu geben. Aber sie ist sich der Grenzen der Sprache durchaus bewusst: «Wenn ein Soldat in deinem Garten steht, nützen dir Metaphern nichts. Dann musst du kämpfen.»
Wenn die Ukraine nicht gewinne, würden wir alle verlieren: «Dann signalisieren wir sämtlichen autoritären Führern weltweit, dass es okay ist, Frauen zu vergewaltigen und souveräne Länder zu zerstören.»