Das Basler St.-Alban-Quartier gilt unter Fachleuten als «Bermuda-Dreieck der Philanthropie». Wer hier an gepflegten Altbauten vorbeischlendert, ist umgeben von Stiftungen.
Wirft man einen Blick auf Online-Karten, ploppen die Namen auf wie Popcorn: Nirgendwo in Europa ist die Stiftungsdichte so hoch wie in der Schweiz. Und nirgendwo in der Schweiz so hoch wie in der Stadt Basel.
Kein Kontakt erwünscht
Auf Briefkästen und Klingelschildern finden sich oft keine Hinweise auf den Sitz der Stiftungen. Auch an der Adresse der Sackler-Stiftung, gelegen an schönster Lage am Rhein, steht der Name nirgends. Nur leergeräumte Büros sind dort zu finden, an der Tür hängt ein Zettel: Die Firma «Mundipharma» sei umgezogen. Über diese Firma läuft der Mail-Kontakt zur Sackler-Stiftung.
Doch der Kontakt verläuft harzig, wie sich zeigen wird. Die Stiftung scheut mediale Aufmerksamkeit, denn der Name Sackler ist weltweit in Verruf geraten. Der Pharma-Familie wird wegen eines Schmerzmittels mit hohem Suchtpotential vorgeworfen, mitverantwortlich für die Opioid-Krise in den USA zu sein.
Proteste setzten Museen unter Druck
In der Kulturwelt sind die Sacklers als mächtige Mäzene bekannt. Der Name schmückte namhafte Museen und Bildungseinrichtungen, vom Metropolitan Museum of Art in New York über die Tate Gallery in London bis zum Louvre in Paris.
Mittlerweile distanzieren sich die meisten Institutionen von Spenden der Sacklers. Zu gross wurde der Druck durch Protestaktionen einer Gruppe um die international bekannte Fotografin Nan Goldin.
Die Künstlerin war selbst lange süchtig nach dem Schmerzmittel OxyContin, das ihr nach einer Operation verschrieben worden war. Nach dem schwierigen Entzug fand sie es unerträglich, dass die Sacklers weiterhin ihren Ruf als Kultur-Mäzene hochhalten konnten, trotz der gesellschaftlichen Schäden durch die Opioidkrise.
Die Sackler-Stiftung in Basel hält sich bedeckt
In der Schweizer Kulturszene ist über Spenden aus dem Kreis der Sackler-Familie wenig bekannt. 2012 unterstützte die Sackler-Stiftung eine Renoir-Ausstellung im Kunstmuseum Basel. 2017 bekam das Museum vom britischen Sackler Trust eine Spende für eine Chagall-Ausstellung. Der Direktor bedauerte das im Rückblick in der «SRF Rundschau», doch damals sei die Opioid-Krise noch nicht im Bewusstsein gewesen.
Das Menuhin Festival in Gstaad verzichtete erst nach medialem Druck auf private Zuwendungen von Theresa Sackler. Sie hat ihren Wohnsitz in Gstaad und ist heute Präsidentin der Sackler-Stiftung in Basel.
Gegründet wurde sie 1998 von ihrem Mann Mortimer Sackler, der 2010 gestorben ist. Zum Stiftungszweck steht im Handelsregister: «Förderung und Unterstützung der Kunst, Bildung, Wissenschaft und der medizinischen Forschung in der Schweiz und im Ausland».
Undurchsichtige Stiftungslandschaft
Was diese Stiftung bisher konkret gefördert hat, gibt sie nicht bekannt. Auf Anfragen antwortet niemand. Auch persönlich vorbeigehen bringt nichts – der Zettel an der Tür der leeren Büros führt zu einer Adresse in Bahnhofsnähe. Dort sagt eine Mitarbeiterin von Mundipharma, die Sackler-Stiftung habe keine eigenen Räumlichkeiten.
Stiftungen wollen etwas in der Gesellschaft verändern. Darum hat die Gesellschaft ein Recht, zu wissen, was diese Stiftungen zu tun gedenken.
Wenn Stiftungen nichts sagen wollen, wird es schwierig: Sie müssen der Öffentlichkeit keine Auskunft geben. Nur die Stiftungsaufsichten haben Einblick in ihre die Tätigkeit. Und die Behörden haben alle Hände voll zu tun, denn der Stiftungssektor boomt schon seit Jahren: «Jede Woche werden durchschnittlich fünf neue Stiftungen gegründet», sagt Nils Güggi, Leiter der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht ESA.
Aktuell gibt es rund 14'000 Stiftungen in der Schweiz. Ihr Vermögen hat sich zwischen 2012 und 2022 nahezu verdoppelt – auf rund 140 Milliarden Franken.
Der Stiftungsplatz Schweiz zieht auch viel Geld aus dem Ausland an. Gründe dafür, erklärt Nils Güggi, sind das liberale Stiftungsrecht, die politische Stabilität und die Nähe zum Finanzplatz.
Stiftungen: gemeinnützig und steuerbefreit
«Wenn es viel privates Vermögen gibt, werden viele Stiftungen gegründet», sagt Georg von Schnurbein, Professor für Stiftungsmanagement an der Universität Basel: «Oft wird viel Geld an Leute vererbt, die schon viel haben und sich fragen, was sie damit machen sollen.» Bei dieser Erben-Generation sei die Wahrnehmung dafür gestiegen, dass man etwas für die Gesellschaft tun sollte.
In der Vergangenheit sah man Kultur als höchstes Gut und klammerte andere Aspekte aus, nach dem Motto: ‹Geld stinkt nicht.› Das ist nicht mehr möglich.
Doch weshalb sollte die Öffentlichkeit dann nicht erfahren dürfen, was die Stiftungen tatsächlich tun? Immerhin sind rund zwei Drittel der Stiftungen in der Schweiz gemeinnützig und somit steuerbefreit.
Mehr Transparenz – aber wie?
Für mehr Transparenz plädiert Georg von Schnurbein als Mit-Autor des «Swiss Foundation Codes», einem Leitfaden für Stiftungen: «Stiftungen wollen ja etwas in der Gesellschaft verändern und haben einen gemeinnützigen Zweck. Wir leiten daraus ab, dass die Gesellschaft ein Recht hat, zu wissen, was diese Stiftungen zu tun gedenken.»
Doch auf die Frage, ob Transparenz verpflichtend sein sollte, sagt Georg von Schnurbein: «Es sollte eine gewisse Freiwilligkeit dabei sein, denn Stiftungen sind private Organisationen, vergleichbar mit KMU.» Schliesslich sei das liberale Stiftungsrecht ein wichtiger Grund dafür, dass die Schweiz die höchste Stiftungsdichte in Europa habe.
Niemand möchte die rund drei Milliarden Franken missen, die Stiftungen in der Schweiz jährlich ausschütten. «In Ländern wie Frankreich, die einen restriktiven Umgang mit Stiftungen haben, fehlt dieses Geld ganz einfach.»
Der Zweck heiligt die Mittel nicht (mehr)
Auch das neue Stiftungsrecht, das ab Januar 2024 in Kraft tritt, wird nichts an der Transparenz der Stiftungen in der Schweiz ändern. Ob sie ihr Vermögen und ihre Tätigkeiten öffentlich machen, bleibt freiwillig.
Doch Georg von Schnurbein beobachtet einen gesellschaftlichen Wandel: Der Legitimationsdruck auf Stiftungen nehme zu. Gerade im Kulturbereich schaue man genauer hin, woher das Geld kommt: «In der Vergangenheit sah man Kultur als höchstes Gut und klammerte andere Aspekte aus, nach dem Motto: ‹Geld stinkt nicht.› Das ist nicht mehr möglich.»
Heute müssen Kulturinstitutionen mit kritischen Fragen zur Finanzierung und Herkunft von Kunst rechnen. Das zeigen etwa die Debatten um die Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich. Auch der Erfolg der Proteste gegen das Kultur-Mäzenatentum der Sacklers sind ein Zeichen dafür, dass ein Umdenken im Gange ist.
Die Rätsel werden bleiben
Allerdings kann öffentlicher Druck nur entstehen, wenn man weiss, woher das Geld kommt. Solange Stiftungen ihre Förderung gegenüber der Öffentlichkeit nicht ausweisen müssen, können sie Nachfragen ins Leere laufen lassen.
Bei der Sackler-Stiftung geht immerhin einer der Stiftungsräte ans Telefon. Er sagt, seit dem Tod des Gründers sei eigentlich kaum mehr etwas gelaufen. Mehr Auskünfte gibt er nicht.
Die Eidgenössische Stiftungsaufsicht bestätigt, dass die Sackler-Stiftung in letzter Zeit nicht mehr aktiv war. Ein Problem: Denn schlafende Stiftungen sind rechtlich nicht erlaubt – wenn sie ihren Stiftungszweck nicht erfüllen, muss die Aufsicht sie auffordern, wieder aktiv zu werden oder die Stiftung liquidieren.
Bald wird die Stiftungsaufsicht bei der Sackler-Stiftung nachfragen. Falls es sie in Zukunft noch geben wird, muss die Öffentlichkeit weiterhin darüber rätseln, was sie eigentlich fördert.