Könnte ein mehr als 200 Jahre langer Streit zwischen dem British Museum und Griechenland zu einem Ende kommen? Womöglich ja. Britischen Medien berichten von Geheimverhandlungen zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten und dem britischen Museum.
Es geht um die «Elgin Marbles», die 2500 Jahre alten Marmorreliefs und Skulpturen. Sie stammen aus dem Parthenontempel auf der Athener Akropolis und stellen Szenen aus der griechischen Mythologie dar – sind aber seit über 200 Jahren im Besitz des British Museum in London.
Benannt wurden die Parthenon-Skulpturen nach Lord Elgin, dem britischen Botschafter im Osmanischen Reich. Unter zweifelhaften Umständen montierte er sie 1801 am Tempel ab und verkaufte sie 1816 an das British Museum.
Osmanischer Sultan gab Erlaubnis
Der Zwist ist sozusagen die Mutter aller Restitutionsdebatten, denn Griechenland war, als Lord Elgin die Skulpturen entfernte, von der Türkei besetzt gewesen. Der Sultan erteilte Lord Elgin die Erlaubnis, Abgüsse und Zeichnungen der Akropolis zu fertigen und einige auf dem Boden liegende Skulpturen einzusammeln.
1832, als Griechenland seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich zurückerlangte, forderten die Griechen die Marmorreliefs und Figuren zurück.
Musterschüler Frankreich
Mittlerweile scheint der Streit festgefahren, die Unesco vermittelte im letzten Jahr – vergeblich. Unterdessen beruft man sich in Grossbritannien darauf, dass das britische Gesetz eine Restitution nicht zulasse.
Vor dem Hintergrund, dass weltweit ehemalige Kolonialmächte geraubte Kunstschätze an die Herkunftsländer zurückgeben, ist diese Haltung fragwürdig. Dass es geht, wenn man will, bewies Frankreich: 2020 wurde in Frankreich ein Gesetz verabschiedet, das den betroffenen Ländern ein Recht auf Restitution einräumt. Frankreich gab bereits 26 Kunstwerke an Benin zurück, die aus dem ehemaligen Königreich Dahomey stammten.
Die Angst vor leeren Museen
In vielen Staaten gibt es Gesetze, die besagen, bestimmte Güter dürfen nicht verschenkt oder weggegeben werden. «Aber Gesetze kann man anpassen», sagt der Schweizer Kunstrechtsexperte Andrea Raschèr. Er glaubt, es sei mehr eine politische Frage, denn eine juristische.
Grossbritannien fürchte die Signalwirkung, die von einer Rückgabe ausgehe. «Ich höre das Argument immer wieder: ‹Wenn wir jetzt etwas herausgeben, dann kommt eine ganze Lawine auf uns zu, und unsere Museen werden geleert›», so Raschèr.
Es gibt einen Mittelweg
Als Kunstrechtsexperte verhandelte Andrea Raschèr 1998 für die Schweiz bei der Ausarbeitung der Washingtoner Prinzipen, die den Umgang mit Nazi-Raubkunst regeln. Zudem hat er im Kulturgüterstreit zwischen den Kantonen Zürich und St. Gallen vermittelt. Ein Streit, der 300 Jahre zurücklag: Zürich plünderte einst einen Teil der St. Galler Klosterbibliothek.
Die Lösung: Zürich anerkannte, dass die Bücher für St. Gallen identitätsstiftend sind. St. Gallen wiederum, dass Zürich Eigentümer ist. Zürich ist Eigentümer geblieben und hat die Güter an St. Gallen dauerhaft ausgeliehen.
«Dieses Modell könnte man in London zumindest prüfen», meint Raschèr. Die Güter gehen nach Athen. Das British Museum bleibt Eigentümerin und das Gesetz wird nicht verletzt. «Es wäre eine recht einfache Lösung», summiert Raschèr. Bleibt abzuwarten, ob sich die Parteien darauf einigen können.