Wie stehen die Kirchen zur «Ehe für alle»? Die Antwort auf diese Frage ist kompliziert. Etwa so, als wolle man den Regenbogen mit nur einer einzigen Farbe beschreiben.
Wenn es um die Öffnung des Begriffs Ehe geht, gehen die Stimmen nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Konfessionen weit auseinander.
Und die Schweiz ist, neben Italien und Liechtenstein, der letzte europäische Staat, der den Ehebegriff noch nicht auf gleichgeschlechtliche Paare ausgeweitet hat (siehe Textbox).
Wieso noch nicht in der Schweiz?
Es ist nicht so, dass Schweizerinnen und Schweizer besonders christlich wären und deshalb eine Ehe von Schwulen oder Lesben verneinten. Die Mitgliederzahlen der evangelisch-reformierten, aber auch der römisch-katholischen Gemeinden sind in den letzten Jahren um rund zehn Prozent gesunken.
Auch die Zahl der kirchlichen Trauungen ist in den letzten zehn Jahren um rund ein Drittel zurückgegangen. Und, um noch eine Zahl zu nennen: Rund zehn Prozent der Bevölkerung seien Homosexuell, sagt der römisch-katholische Theologe Manfred Belok in «Sternstunde Religion».
Ehebund im römisch-katholischen Sinne
Doch daraus eine «Ehe für alle» als notwendig abzuleiten, findet der römisch-katholische Abt Peter von Sury falsch: «Das ist eine Modeerscheinung und nicht das wichtigste Thema unserer Gesellschaft», sagt er.
Für den Abt ist klar: «In der christlichen Tradition ist der Ehebund per definitionem die Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, begründet in der Schöpfung.» Er würde darum ein gleichgeschlechtliches Paar nicht trauen: «Nein, das geht nicht.»
Anders argumentiert der Kirchenratspräsident der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Zürich, Michel Müller: «Wir legen den Blick auf den Inhalt einer Ehe und nicht auf die Struktur. Es geht um die Qualität der Beziehung, egal ob in der Beziehung zwei Männer, zwei Frauen oder eine Frau und ein Mann sind.»
Evangelisch-reformiert, befürwortend
Der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller ist darum ein klarer Befürworter der Ehe für alle: «Das Gesetz muss die Lebenswirklichkeit abbilden, zudem stehen wir als Kirche traditionell ein gegen Diskriminierung.»
Der Zürcher Kirchenratspräsident sieht denn auch den Begriff der Ehe als einen, der beweglich ist, eben nicht in Stein gemeisselt.
Die reformierte Kirche in der Deutschschweiz und im Tessin kennt bereits die Segnung für homosexuelle Paare. Wird die «Ehe für alle» vom Gesetzgeber angenommen, könnten reformierte Pfarrerinnen und Pfarrer die Paare dann nicht nur segnen. Sondern trauen. «Was ihre Beziehung nicht mehr abwertet gegenüber einer Hetero-Beziehung», so Müller.
Widerstand in der Freikirche
Die Hebamme Eva Kaderli war lange Jahre Mitglied einer christlichen Freikirche. Dort sei sie aufgewachsen mit der Überzeugung, Homosexualität sei Sünde, erzählt sie. «Als ich mich in eine Frau verliebt habe, habe ich zuerst dagegen gekämpft, dagegen gebetet.»
Doch nach zwei schwierigen Jahren sei sie zur Entscheidung gekommen: «Gott hat mich so geschaffen. Warum sollte ich also gegen diese Liebe kämpfen?»
Heute ist sie Co-Präsidentin des Vereins «Zwischenraum», der sich als Anlaufstelle für christliche LGBT-Menschen versteht: «Denn Homosexualität und christlicher Glaube, das schliesst sich nicht aus.» Ihre damalige Freikirche hat sie inzwischen verlassen, ist heute in einer evangelisch-methodistischen Gemeinde in Zürich.
Was ist mit Familie?
Mit einer Ausweitung der Ehe auf gleichgeschlechtliche Paare stellen sich für die christlichen Konfessionen aber auch neue Fragen – etwa ob verheiratete Paare adoptieren oder per Samenspende Kinder bekommen dürfen.
Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller sagt dazu: «So viele Kinder erleben heute schon eine ganz andere Realität, als die von einer Familie mit Mutter und Vater. Egal ob in einer Familie Frau und Mann, Mann und Mann oder Frau und Frau involviert sind, die Frage ist für mich stets dieselbe: Was ist das Beste für das Kind?»
Eva Kaderli meint: «Ich finde es wunderbar, wenn zwei Menschen, die sich lieben, eine Familie gründen. Ein Kind braucht zum Aufwachsen Liebe und stabile Bezugspersonen, das hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun. Zudem zeigen Studien, dass Kinder aus Regenbogenfamilien genauso gesund aufwachsen.»
Keine Frage der Konfession
Drei Stimmen: Sie stehen nicht stellvertretend für die jeweilige christliche Konfession. Obwohl man in der römisch-katholischen Kirche tendenziell wohl mehr Kritiker der Ehe für alle antrifft, gibt es auch dort Befürworter.
Auch wenn Michel Müller und Eva Kaderli eine progressive Haltung vertreten, finden sich auch bei den Reformierten und in den Freikirchen Menschen, die eine Ehe zwischen zwei Männer oder zwei Frauen unmöglich finden. Die Haltungen sind verschieden – so bunt wie die Farben eines Regenbogens.
Anmerkung: In einer ersten Fassung dieses Artikels hiess es, dass «rund zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell sind». Diese Zahl bezieht sich auf eine Aussage von Theologe Manfred Belok in der Sendung «Sternstunde Religion». Das Zitat wurde nun ausgewiesen.