«Postwachstumsökonomie» nennt sich das Wirtschaftsmodell, das für den deutschen Ökonomik-Professor Niko Paech die ökologischen Probleme unserer Zeit lösen soll.
Paech denkt radikal: In seiner Postwachstumsökonomie gibt es kein wirtschaftliches Wachstum, keine Flughäfen und eine 20-Stunden-Arbeitswoche.
Ist das Illusion oder Notwendigkeit? Darüber spricht Niko Paech mit dem Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Reiner Eichenberger.
SRF: Herr Paech, wieso brauchen wir ein Wirtschaftssystem ohne Wachstum?
Niko Paech: Einer der Gründe ist, dass es jeder theoretischen und faktischen Grundlage entbehrt, dass man Wertschöpfung systematisch von ökologischen Schäden entkoppeln kann.
Sind Sie einverstanden, Herr Eichenberger?
Reiner Eichenberger: Das menschliche Dasein führt in aller Regel zu Ressourcenverbrauch. Aber wenn wir miteinander interagieren, kann dieser Verbrauch gesenkt werden. Es braucht die richtigen Anreizsysteme.
Paech: Natürlich lassen sich ökologisch schädliche Aktivitäten so hoch besteuern, dass als Reaktion darauf die Umwelt entlastet wird. Aber das funktioniert nur deshalb, weil die Güternachfrage und somit der materielle Wohlstand sinken würden.
Aber ist weniger Wohlstand nicht etwas Schlechtes?
Paech: Nein, denn sobald wir ein bestimmtes Niveau erreicht haben, führen mehr Einkommen und Konsum nicht zu mehr Lebenszufriedenheit.
Eichenberger: Natürlich hat Geld einen abnehmenden Grenznutzen, und natürlich gibt es Gewöhnungseffekte. Trotzdem hat das absolute Einkommen einen positiven Einfluss auf die Lebenszufriedenheit.
Paech: Wir können nur eine begrenzte Menge von Reizen – von Wohlstand, Konsum – aufnehmen. Unsere Lebensqualität lässt sich nicht unbegrenzt durch Konsum steigern.
Dazu führt ständiges Wachstum auch zu kontraproduktiven sozialen Effekten in Bezug auf Hunger, Armut oder Verteilungsgerechtigkeit.
Entscheidend ist, die typischen Marktversagen in der Politik in den Griff zu bekommen.
Schadet uns Wachstum also mehr als er uns nützt?
Eichenberger: Natürlich führt Wachstum nicht immer zu weniger Hunger oder Armut. Wachstum erhöht aber das Potenzial, dass diese Dinge sich vermindern.
Entscheidend ist, die typischen Marktversagen in der Politik in den Griff zu bekommen, zum Beispiel mit direkter Demokratie oder klugen Wahlregeln. Mit Wohlstand nimmt die Nachfrage nach diesen Aspekten zu, wie etwa Taiwan oder Südkorea zeigen.
Bald ist von einem ‹Peak Everything› auszugehen.
Paech: Stetes Wachstum bedingt, dass Länder sich auf Güter spezialisieren, die auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sind. Das führt zwangsläufig zu Gewinnern und Verlieren.
Man darf auch nicht vergessen, dass die explosionsartige Nachfragesteigerung von Ländern wie China und Indien zu einer Verteuerung der bisher vermeintlich unbegrenzten Ressourcen führt, auf denen der materielle Wohlstand basiert.
Was bedeutet das?
Paech: Das Wirtschaftswachstum stösst an seine Grenzen. Das Phänomen des sogenannten «Peak Oil» wird sich bald so ausweiten, dass von einem «Peak Everything» auszugehen ist. Das lässt sich nur durch eine von äusserer Ressourcenzufuhr unabhängige Versorgungsform meistern. Und die ist mit Wachstum unvereinbar.
Herr Eichenberger, steuern wir auf einen «Peak Everything» zu?
Eichenberger: Der «Peak Oil» hat nicht stattgefunden und wird auch nicht bald stattfinden. Gute Ökonomie muss immer Angebot und Nachfrage gleichzeitig miteinbeziehen. Aus dieser Perspektive sieht die Welt anders aus: China, zum Beispiel, verbraucht nicht nur Ressourcen, sondern produziert sie auch zunehmend.
Natürlich gibt es durch Wachstum neue Probleme. Aber mit Stagnation sind die Probleme oft viel grösser.
Das Gespräch führte Gina Messerli.