In Mataram auf der ostindonesischen Insel Lombok grenzt die Hauptstrasse an einen gepflegten Park. Dutzende Schüler einer nahen Mittelschule geniessen dort ihre Pause – mit einer Zigarette im Mund.
«Die jungen Leute kaufen Zigaretten einzeln», sagt Kioskbesitzer Haji Tirmizi. Die Billigmarken Surya und Sampoerna für 1’500 Rupiah (rund zehn Rappen) das Stück. Marlboros sind etwas teurer.
Neue Wachstumsmärkte
Bei uns reitet der «Marlboro Man» schon lange nicht mehr über die Kinoleinwände. Tabakwerbung ist stark reguliert, in geringerem Masse auch Alkoholwerbung.
Aus guten Gründen: Alkohol tötet jährlich drei Millionen Menschen, sagt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Tabak sogar acht Millionen.
In den Industrieländern geht der Konsum der Suchtmittel Alkohol und Tabak zurück. Deshalb expandieren die Konzerne verstärkt in Entwicklungsländer mit schwachen Regierungen und ahnungslosen Konsumenten.
Süsser Rauch
In Indonesien mit seinen 260 Millionen Menschen rauchen heute 76 Prozent der Männer. Im Jahr 2000 waren es «nur» 56 Prozent.
Auch die Zahl der rauchenden Frauen und Kinder wächst rasant. Indonesien ist, hinter China, der zweitgrösste Tabakmarkt der Welt.
Alkohol tötet jährlich drei Millionen Menschen, sagt die WHO – Tabak sogar acht Millionen.
«Indonesier rauchen am liebsten mit Nelken versetzte Kretek-Zigaretten», sagt Nina Samidi, Sprecherin der Nationalen Kommission für Tabakkontrolle, einer NGO. «Der süsse Geschmack verleitet insbesondere auch Kinder und Jugendliche zum Rauchen.»
Neue Goldgrube
Ein Drittel aller männlichen Jugendlichen raucht in Indonesien, schätzt die WHO. Nach einer Studie investieren arme Familien drei- bis fünfmal so viel in Zigaretten wie in die Bildung ihrer Kinder.
Die Behörden wiederum schätzen «Big Tobacco», die internationale und nationale Tabakindustrie, als Wirtschaftsfaktor. Tabakwerbung und Rauchen sind fast überall erlaubt. Die Tabaksteuern sind niedrig und die Bevölkerung weiss wenig über die Gefahren des Rauchens.
300 Milliarden Zigaretten werden auf den indonesischen Inseln jährlich verkauft. Marktführer ist der US-Konzern Philip Morris International (PMI) vor den lokalen Unternehmen Gudang Garam und Djarum sowie British American Tobacco (BAT).
Zigaretten und weibliche Freiheit
In der omnipräsenten Zigarettenwerbung Indonesiens sehen Raucher blendend aus, haben Erfolg und attraktive Frauen fallen ihnen zu Füssen.
Diese Werbung bedient den Traum zahlloser indonesischer Männer vom Aufstieg – aus täglicher Fron als Kleinbauer oder schwitzender Büroarbeiter im muffigen Kämmerchen. Die Industrie umwirbt ausserdem massiv neue Kundenschichten.
In einem Spot der Zigarettenmarke Esse wirft eine junge Frau ihrem Chef den Stenoblock vor die Füsse, rennt zum Fenster und springt – aus dem zehnten Stock – ins Cabrio ihres strahlenden Traummannes.
«So definiert die Zigarettenindustrie weibliche Freiheit», sagt Mutiara Azka, Sprecherin der Lentera-Anak-Stiftung in Jakarta, die für Tabakkontrolle kämpft. «Bei uns, wo die meisten Frauen bis heute unter der Fuchtel von Eltern und Ehemann stehen, bekommen sie eine völlig falsche Idee davon, was Unabhängigkeit bedeutet.»
Tiefe Überlebensrate
Die Folgen für Indonesiens öffentliche Gesundheit sind dramatisch. «Vor zwei Jahren sagte mir mein Arzt, ich hätte Lungenkrebs», berichtet der 50-jährige Dasuki am Persahabatan-Krankenhaus in Jakarta.
Abgemagert sitzt er im Sprechzimmer der Lungenfachärztin Sita Andarini, einen hellgrünen Atemschutz vor dem Mund. 20 Jahre, berichtet Dasuki, habe er geraucht, eine Packung pro Tag.
«In unseren Provinz-Krankenhäusern kann Lungenkrebs nicht behandelt werden», sagt die Ärztin. Und in den wenigen Fachkliniken gebe es lange Wartezeiten.
Das verringert die Überlebenschancen. «Die ersten fünf Jahre nach einer Lungenkrebsdiagnose überleben bei uns gerade ein Prozent der Patienten», so Lungenspezialistin Andarini. In Europa sind es 15 bis 20 Prozent.
Kampf gegen Big Tobacco
Die Mitgliedsländer der WHO haben 2003 das wegweisende UNO-Rahmenabkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs beschlossen. In der Folge kam es weltweit zu Werbeverboten für Tabak.
Abschreckende Bilder auf Zigarettenpackungen wurden vorgeschrieben, die Abgabe von Tabak an Jugendliche verboten, grosse Teile des öffentlichen Raums zu rauchfreien Zonen erklärt.
Indonesien hat als einziges Land Asiens das UNO-Rahmenabkommen nicht ratifiziert.
Der Mensch trinkt immer mehr Alkohol
Weltweit sinkt inzwischen der Tabakkonsum, allerdings langsam. Der Alkoholkonsum jedoch wächst dramatisch. Zwischen 1990 und 2017 sei er um 70 Prozent gewachsen, sagt eine Studie , die im Mai 2019 von der renommierten Medizin-Zeitschrift «The Lancet» veröffentlicht wurde.
Weltweit sinkt inzwischen der Tabakkonsum – allerdings langsam. Der Alkoholkonsum jedoch wächst dramatisch.
Die Zahl der Alkoholkonsumenten steige, mit wachsendem Tempo, von 45 Prozent der Erwachsenen (1990), über 47 Prozent 2017 auf voraussichtlich 50 Prozent 2030.
Die Menge des jährlich pro Kopf konsumierten Alkohols von 5.9 Liter (1990), über 6.5 Liter (2017) auf voraussichtlich 7.6 Liter 2030. Besonders viel Alkohol konsumieren Trinker in Afrika.
Lauter schreien, schneller rennen
John, zum Beispiel, Sohn eines Kleinunternehmers in Kenias Hauptstadt Nairobi. Zwei Jahre hat er Management studiert. Nach zu vielen Partys aber hat er das Studium geschmissen.
Er wurde Marktschreier für Matatus, Kleinbusse. Dem Alkohol ist er treu geblieben: «Wenn du trinkst, fühlst du dich motiviert. Du kannst lauter schreien und schneller rennen. Und je mehr Leute du zu deinem Matatu bringst, desto mehr Geld verdienst du. Nach der Arbeit allerdings fühlst du dich gestresst und müde. Du willst dich hinsetzen, entspannen – und trinken.»
Neben Südasien gilt Afrika als Markt der Zukunft für die internationalen Alkoholkonzerne, «Big Alcohol». Eine junge, rasant wachsende Mittelschicht will Markenprodukte statt lokalen Gebräus.
15 Prozent der Weltbevölkerung leben in Afrika – und 25 Prozent der Komasäufer. Die Konzerne wissen das.
Bier des niederländischen Braukonzerns Heineken zum Beispiel, dessen Chef Jean Francois van Boxmeer kürzlich sagte: «Afrika ist neben Indien der am wenigsten entwickelte Biermarkt weltweit. Diese Länder werden langfristig immer wichtiger für Heineken.»
Kontinent des Komasaufens
Alkoholkonsumenten in Afrika neigen dazu, sehr viel zu trinken. In Südafrika sind nach einer Studie 53 Prozent der Alkoholkonsumenten «schwere Trinker».
15 Prozent der Weltbevölkerung leben in Afrika – und 25 Prozent der Komasäufer. Die Konzerne wissen das. Wie die Tabakindustrie manipulieren sie wenig gebildete Menschen durch raffinierte Werbung.
«Kenianer lieben es, beim Bier zusammenzusitzen», erklärt Philip Nyakundi, Leiter einer kleinen Organisation in Kenia, die Alkoholmissbrauch bekämpft.
«Damit verbunden ist sozialer Druck: Du solltest mittrinken, wenn du von einem profitablen Geschäft, einem preiswerten Grundstück oder einer guten Schule für deine Kinder erfahren willst.»
Rosa Wodka für die Dame
Bier ist das meistverkaufte Alkoholgetränk in Afrika. Mit 13 Milliarden Dollar jährlich ist der Umsatz noch recht klein. Er wächst aber dreimal so schnell verglichen mit dem weltweiten Umsatz.
Die Nutzniesser sind wenige Konzerne: Heineken verkauft in Afrika 15 Prozent seines Biers, erzielt dort aber 21 Prozent seines Gewinns. Der britische Diageo-Konzern verkauft Premium-Produkte wie Tusker-Bier in Afrika ähnlich teuer wie in Europa.
Laut Philip Nyakundi gelingt das dank der hochwirksamen Werbung auf riesigen Plakattafeln, im Fernsehen, Radio oder Internet. «Tusker trinken in der Werbung Männer voller Kraft und Saft, die mit Model-Partnerinnen Luxusautos fahren und in Traumvillen leben.»
Dynamische Karriere-Frauen trinken in den Spots süsse, pinkfarbene Wodka-Produkte. Ältere Männer, die auf ihre Gesundheit achten, konsumieren angeblich zuckerfreie Drinks. Jedes Segment des Marktes wird bedient.
Trinken gegen den Stress
Dass Big Alcohol immer mehr Kunden in Afrika gewinnt, führt der Psychologe Paul Ndungu auch auf die veränderten Lebensumstände zurück.
«So viele Kenianer leben heute in Unzufriedenheit, Hektik und Dauerstress», sagt der Leiter eines Rehazentrums ausserhalb Nairobis. «So viele haben einen Universitätsabschluss, aber keinen ordentlichen Job. Sie stehen täglich stundenlang im Stau, gehen abends gefrustet in eine Bar.»
Die schlimmsten gesundheitlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums in Afrika zeigen sich bei Kindern.
Zu den Folgen gehören auch die Auswirkungen auf die Gesundheit der Alkoholkranken: Diabetes, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Depressionen, früh einsetzende Demenz oder Tuberkulose.
Auch bei HIV spielt Alkohol eine wichtige Rolle: «Wer betrunken ist, achtet weniger auf Sicherheit beim Sex», berichtet Charles Parry, Professor für öffentliche Gesundheit in Kapstadt.
Alkoholkinder haben keine Chance
Die schlimmsten gesundheitlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums in Afrika zeigen sich bei Kindern: fetale Alkoholspektrumsstörungen (FAS).
Betroffene Kinder sind kleinwüchsig. Sie leiden an Missbildungen des Gesichts und Schäden am Nervensystem. Ihr Gehirn ist unterentwickelt. Sie sind lernschwach, verhaltensgestört und enden später oft im Gefängnis.
«Weil besonders in Südafrika viele Frauen auch während der Schwangerschaft trinken, werden jährlich 80'000 Kinder mit fetalen Alkoholspektrumsstörungen geboren», berichtet Charles Parry. Das sind pro 100'000 Einwohner zwölfmal so viele wie in Mitteleuropa. In manchen Gemeinden Südafrikas sei ein Viertel der Kinder betroffen.
Wirtschaftsfaktor Alkohol
Vor diesem Hintergrund fordern Experten und Zivilgesellschaft in vielen Ländern Afrikas, Alkoholwerbung in Verbindung mit Sport und Kultur zu verbieten und Alkoholsteuern zu erhöhen. Aber sie dringen nicht durch. Dies auch deshalb, weil Big Alcohol vielerorts zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor avanciert ist.
Heineken Afrika strebt an, 60 Prozent seiner Zutaten wie Sorghum, Maniok und Gerste von afrikanischen Bauern zu beziehen. AB Inbev hat allein 2017 200 Millionen US-Dollar in Südafrika investiert. Diageo baut für 150 Millionen Dollar eine weitere Brauerei in Kenia und schafft so Arbeitsplätze.
Umworbene Politiker
Ausserdem pflegen die Konzerne den Kontakt zur Politik: Charles Parry erlebte kürzlich, wie der Brauereikonzern Heineken eine Alkoholkonferenz südafrikanischer Politiker und Wissenschaftler kaperte.
«Die Geschenke für die Redner bestanden aus Alkohol und einer Heineken-Kühltasche. Der Chef von Heineken war eingeflogen und hielt einen Vortrag während eines Abendessens, das Heineken bezahlte. Die ganze Veranstaltung war von Heineken mitorganisiert und mitfinanziert.»
Dramatische Entwicklung
Auch die Vereinten Nationen tun zu wenig gegen die weltweit dramatische Entwicklung des Alkoholkonsums und seiner tödlichen Folgen. Wachsweich wendet sich die WHO nur gegen «schädlichen» Alkoholgebrauch.
Den vielfältigen Mahnungen der WHO fehlt die Autorität eines internationalen Abkommens zur Eindämmung des Alkoholkonsums. Ein solches Abkommen nach dem Vorbild des Tabakabkommens von 2003 ist nicht in Sicht. Zu stark ist die Alkohol-Lobby in vielen Ländern und internationalen Gremien.