Die Szene gleicht einem Albtraum: Umringt von einer Horde Männer sitzen zwei Frauen auf der Erde. Nackt. Ihre Hände sind auf den Rücken gebunden. Ein Mann schlägt eine der Frauen mit einer Eisenstange. Die beiden sollen gestehen, dass sie Hexen sind.
Die grausame Szene ist aus dem Dokumentarfilm «Sanguma», auf Deutsch «Hexenglaube». Schauplatz ist das Hochland von Papua-Neuguinea.
Jedes Jahr sollen im Pazifikstaat mehr als 200 Menschen an den Folgen von Hexenfolterungen sterben. Andere werden schwer verletzt und verstümmelt.
Hexenglauben gibt es an vielen Orten der Welt, etwa in Afrika südlich der Sahara, in Indien, Südostasien und in Teilen von Lateinamerika.
Internationaler Tag gegen Hexenwahn
Deshalb rief das Internationale Katholische Hilfswerk missio Aachen am 10. August 2020 den Internationalen Tag gegen Hexenwahn aus. Das Hilfswerk will damit auf weltweite Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit angeblicher Hexerei aufmerksam machen.
Gegen den Hexenglauben auf Papua-Neuguinea kämpft auch die Schweizer Ordensfrau Lorena Jenal. Sie lebt schon seit 40 Jahren auf der Insel und wurde für ihr Engagement 2018 mit dem Weimarer Menschenrechtspreis ausgezeichnet.
Drei Tage lang gefoltert
In ihrer Diözese in Mendi im südlichen Hochland sei der erste ganz schlimme Fall Christina gewesen, erzählt die Nonne. Drei Tage lang sei die Mutter von vier Kindern gefoltert worden.
«Sie wurde an zwei Baumstämme gebunden, ihr wurden alle Kleider vom Leib gerissen und die Augen verbunden.» Dann schürten Männer das Feuer unter dem Wellblech, auf dem Christina stand. «Man hat an den Brüsten angefangen, sie zu verbrennen, mit allen möglichen Metallstäben.»
Hexenglaube als globales Phänomen
Wolfgang Behringer von der Universität des Saarlandes erforscht das Phänomen seit Jahren. Der deutsche Historiker betont, dass der Hexenglaube sich keineswegs auf den christlichen Kulturkreis beschränke und kein reines Erbe kirchlicher Indoktrination sei. «Es ist ein sehr viel älterer Glaubenskomplex, der auch nicht-christliche Zivilisationen umfasst.»
Als die Hexenverfolgung in Europa endlich gesetzlich verboten war, fanden die Europäer den Hexenglauben in ihren Kolonien wieder. Sie versuchten, ihn auch dort per Gesetz auszurotten. Doch das Gegenteil geschah.
Hexenverfolgungen in Afrika
Indem die Europäer ihre Rechtsprechung auf die Kolonien übertrugen, stellten sie die Weltanschauung der einheimischen Bevölkerung auf den Kopf. Als die kolonisierten Länder in Afrika ihre Unabhängigkeit erhielten, seien in vielen der jungen Staaten heftige Hexenverfolgungen ausgebrochen, sagt Wolfgang Behringer.
Tansania etwa ging Ende 1961 in die Unabhängigkeit. Bis heute rechnet der Historiker vor, seien geschätzte 40‘000 bis 50‘000 Menschen wegen angeblicher Hexerei umgebracht worden: «Das ist eine ähnliche Grössenordnung wie im gesamten Zeitraum der Hexenverfolgung in Europa.»
Katalysator sozialer Wandel
Seit den 1970er-Jahren hat auch in Papua-Neuguinea ein sozialer Wandel eingesetzt. In der sehr traditionellen dörflichen Gesellschaft sind Frauen wesentlich selbstständiger geworden. In der mangelnden Bereitschaft der Männer, diesen sozialen Machtverlust zu akzeptieren, sieht die Nonne Lorena Jenal den Auslöser für die jüngsten Hexenverfolgungen.
«Die Opfer sind fast alle Frauen, und die Folterungen gleichen Gewaltpornos», sagt die Ordensschwester. So wie bei Christina. Sie entkam zwar damals ihren Verfolgern, ist aber in diesem Jahr an Leukämie verstorben.
Lorena Jenals Vision
Lorena Jenal sagt, sie habe einen Herzenswunsch. Sie träume von einem «Haus der Hoffnung» an einem sicheren Ort. «Wo diese Frauen wieder Freude am Leben bekommen und sicher leben können – statt mit dieser ständigen Angst: ‹Passiert mir wieder etwas?›»