Sie trägt Pelz. Der sei aber fake und darunter trage sie eine vegane Lederjacke. Das sagt mir Tansy Hoskins an einem kühlen und regnerischen Apriltag in London.
Die Britin beschäftigt sich mit Mode, so wie das nur ganz wenig andere tun. Sie ist mit ihrer Schrift «Antikapitalistisches Buch der Mode» zur Chefanklägerin der Mode avanciert, schreibt Kommentare für den Guardian, die BBC und Channel 4.
Ihr Alleinstellungsmerkmal: Tansy Hoskins versteht sich selbst als Liebhaberin des Textilen, steht aber dem ganzen Fashion-System äusserst kritisch gegenüber. Gerade weil sie so sehr an die Kraft der Kleider, an interessante Designs und innovative Kreationen glaube, sei sie zur stärksten Kritikerin der Mode geworden, meint sie.
Kleidung per Kilo kaufen
Als Jugendliche liest sie die Vogue, wächst auf mit Bildern der jungen Kate Moss, die in Calvin Klein-Anzeigen das Jahrzehnt des «Heroin-Chic» proklamiert. Als Teenager kauft sie Kleidung per Kilo, schnell, billig, viel.
Ihre aufflammende Liebe zum Grunge verändert wenig später Tansy Hoskins Perspektive auf die Mode. In der Grunge-Szene sind neue Kleider nicht der letzte Schrei, sondern nur das Letzte. Alte Jeans und zerschlissene Shirts bilden die textile Basis – die gelebte Anti-These zu den früher heiss geliebten Billig-Kleidern.
Wer verdient wirklich viel daran?
In der Zeit zwischen Shopping-Exzess und Nirvana-Konzert beginnt Hoskins, Mode als politisches Metier zu begreifen. Wer bestimmt, was wir tragen? Wie wird das hergestellt? Wer verdient wirklich viel daran und wer erschreckend wenig? Und welche langfristigen Katastrophen geschehen erst durch unsere unstillbare Gier nach immer neuen Teilen?
Umgeben von Menschen mit Einkaufstüten, sagt mir Tansy Hoskins: «Wir müssen aufhören mit dem Kleiderkaufen. Es ist unabdingbar, dass wir alle viel weniger kaufen. Die Umwelt wird viel zu stark belastet, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sind teilweise unmenschlich, und die grossen Gewinne streichen ein paar einzelne weltweit operierende Konzerne ein. So kann es nicht weitergehen.»
Sachen länger tragen, flicken, neu zusammenfügen
Hoskins ist es durchaus bewusst, dass die Arbeitsplätze der Textil-Industrie überlebenswichtig sind. Ihr Ansatz: Sie will die Kunden vom Konsumieren zum Denken bringen.
Das bedeutet: Wir müssen zu einer Wiederverwertungs-Gesellschaft werden. Sachen länger tragen, flicken, neu zusammenfügen und uns bewusstwerden, dass es oftmals Mechanismen des Marketings sind, die uns suggerieren, wir bräuchten wieder und wieder eine neue Hose, neue Schuhe oder ein neues Shirt.
«Wir müssen unsere Denkweise ändern»
Nur das scheint mir einfacher geschrieben als gelebt zu sein. Denn wir sind alle täglich zahlreichen Aufforderungen und Kaufanreizen ausgesetzt: Wie dem Dauer-Sale in den Läden oder den Hochglanzbildern der abertausenden Influencern auf Instagram und Co. widerstehen? Und warum überhaupt sollte das erstrebenswert sein?
Die Antwort von Tansy Hoskins führt weg von der Massenware an der Oxford Street und weg von den Fabriken in Indien, Moldawien und Vietnam. Die Antwort führt zu uns selbst: «Wir müssen unsere Denkweise ändern und anfangen, die Leute anders zu schätzen, zum Beispiel für ihre Intelligenz, für ihren Sinn für Humor, für ihre Freundlichkeit oder für die Arbeit, die sie machen. Und eben nicht dafür, welche Kleider sie tragen.»