Es ist der 16. März 1978. Um Punkt 9 Uhr schlägt das Terroristenkommando zu. In der Via Fani, einer Strasse des römischen Viertels Trionfale, überfällt es den Konvoi von Aldo Moro, des Präsidenten der Christdemokratischen Partei Italiens.
Fünf Leibwächter kommen im Kugelhagel um. Die Terroristen zerren Moro aus dem Auto und verfrachten ihn in einen anderen Wagen. Das Auto braust davon, der Spuk ist nach wenigen Minuten vorbei.
55 Tage später ist Aldo Moro tot – ermordet von der linken Terrorgruppierung der Roten Brigaden. Bis heute ist nicht restlos aufgeklärt, wer wirklich die Fäden zog bei seiner Entführung.
Aldo Moro, eine Schlüsselfigur
Aldo Moro war einer der bedeutendsten italienischen Politiker der Nachkriegszeit. Als er entführt wurde, war er eine Schlüsselfigur der italienischen Politik. Ein Christdemokrat, der nach links blickte.
In den 1960er-Jahren hatte er die erste Mitte-Links-Regierung Italiens mit den Sozialisten gebildet. Nun war er dabei, die Kommunisten in die Regierung zu holen.
Die Angst vor den Kommunisten
Die PCI, die Kommunistische Partei Italiens, war damals die grösste kommunistische Partei des Westens. 1947 war sie auf Geheiss des US-Präsidenten Truman aus der Einheitsregierung aller antifaschistischen Parteien rausgeworfen worden.
Dass die italienischen Kommunisten die demokratische Verfassung mitgeschrieben hatten und sich zur Demokratie bekannten, half nichts. Die Angst vor den Kommunisten bestand bis in die 1970er-Jahre.
1973 wurde Enrico Berlinguer zum Vorsitzenden der PCI gewählt. Er war ein scharfer Kritiker des Sowjetkommunismus, pochte auf die Unabhängigkeit der kommunistischen Parteien ausserhalb der Sowjetunion und rief den Eurokommunismus ins Leben: eine Allianz der kommunistischen Parteien des Westens, die sich zur Demokratie bekannten.
Annäherung unerwünscht
Dennoch hielt US-Aussenminister Henry Kissinger Kommunisten wie Berlinguer für gefährlich. «Man befürchtete eine Ansteckung. Kommunisten, die glaubten, der Kapitalismus könne auf demokratischem Wege überwunden werden, hätten ein Vorbild sein können», erklärt Aldo Tortorella, ein Weggefährte Berlinguers.
Moros Politik der Anfreundung mit den Kommunisten wurde deshalb in Ost und West angefeindet.
Moros geplante Marschroute
Bei den Parlamentswahlen 1976 bekam die PCI 34 Prozent der Stimmen, nur vier Prozentpunkte weniger als die Christdemokraten. Eine Regierungsbildung ohne Kommunisten schien unmöglich. Aber die NATO-Partner Italiens drängten darauf, die Kommunisten von der Macht fernzuhalten. Die Folge: eine Minderheitsregierung, die die Kommunisten per Stimmenthaltung stützten.
Als diese scheiterte, vereinbarte Moro mit Berlinguer ein Programm und eine Marschroute: Die Kommunisten würden zunächst der Regierungsmehrheit angehören, ohne Minister ins Kabinett zu entsenden. Nach sechs Monaten sollten sie aber regulär mitregieren.
Diese Abmachung sollte am 16. März 1978 besiegelt werden. Moro war unterwegs zur Einsetzung der neuen Regierung – dann wurde er entführt.
«Fehlgeleitete Geheimdienste»
«Die Entführung war ein Schlag gegen Moros Politik der Annäherung an die Kommunisten», sagt Claudio Signorile, damals Vize-Chef der Sozialistischen Partei. «Ich war mir sicher, dass die Geheimdienste dahintersteckten.»
Eingeweihte des politischen Betriebs ahnten schon damals, was später durch Ermittlungsverfahren und diverse parlamentarische Untersuchungskommissionen im Zusammenhang mit anderen Anschlägen bewiesen wurde: Es gab in den italienischen Geheimdiensten und Sicherheitskräften Seilschaften, die mit antidemokratischen, reaktionären Kreisen im In- und Ausland loyal waren. Man nannte sie «fehlgeleitete Geheimdienste».
Ein kapitaler Fehler
Weshalb die Roten Brigaden ausgerechnet Moro ins Visier nahmen, ist immer noch nicht geklärt. Zwar wollten die Roten Brigaden die Revolution – die PCI war ihnen zu moderat.
Alberto Franceschini jedoch, Mitbegründer der Roten Brigaden und zum Zeitpunkt der Entführung im Gefängnis, hält die Tat für einen kapitalen Fehler. «Das Gegenteil dessen, was man hätte tun sollen», sagt er. Deshalb wurde schon damals gemutmasst, dass die linken Terroristen von anderen Kräften infiltriert und instrumentalisiert worden waren.
Ein Krisenstab, der nichts unternimmt
Die Regierung legte sich nach der Entführung sofort fest: Keine Verhandlungen mit den Terroristen. Ein Krisenstab wurde eingesetzt. Dieser aber unternahm nichts, um das Versteck zu finden, in dem Moro gefangen gehalten wurde.
1981 kam ans Licht, dass fast alle Mitglieder des Krisenstabs der «P2» angehörten: einer Geheimloge, die den Staat unterwandert hatte, um eine Militärdiktatur oder ein autoritäres Präsidialsystem zu errichten.
Die Leiche im Renault
Inzwischen haben parlamentarische Untersuchungsausschüsse Verbindungen zwischen einzelnen Roten Brigadisten und italienischen und ausländischen Geheimdiensten nachgewiesen. Ob letztere die terroristische Organisation nur beobachten oder sie gar lenken wollten, lässt sich jedoch nicht sagen.
Am 9. Mai 1978 wurde Moros Leiche in einem Renault 4 in der Via Caetani in Rom gefunden. Die Strasse liegt zwischen den ehemaligen Sitzen der Christdemokratischen Partei und der PCI. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. «Das war ein rechter Staatsstreich, von Linksterroristen verübt», sagt Aldo Tortorella. «Wer weiss, ob sie sich dessen bewusst waren.»
Ausgeträumt
Nach Moros Tod rückte Italien nach rechts. Die Kommunisten kamen nie an die Regierung. Der Eurokommunismus, den die Westmächte so gefürchtet hatten, war längst passé, als sich die PCI 1990 auflöste. Der Traum eines demokratischen Kommunismus – ausgeträumt.