Das stereotype Bild des Beamten, der acht Stunden untätig und unmotiviert vor seinem Schreibtisch sitzt, ist nicht neu. Schon in den 1990er-Jahren sagt Homer Simpson zu seiner Tochter: «Lisa, wenn du deinen Job nicht magst, streikst du nicht. Du gehst einfach jeden Tag hin und machst ihn nur halbherzig.»
Für diese Homersche Einstellung zur Arbeit gibt es einen koketten neuen Begriff, der in den sozialen Medien Karriere macht: «Quiet quitting». Man kündigt allerdings nicht wortwörtlich still und leise seinen Job. Stattdessen verabschiedet man sich von der Idee, in seinem Beruf stets und ständig zu viel zu geben.
Der Begriff verbreitete sich über Plattformen wie Tiktok. In einem kurzen Video bringt der US-Amerikaner Zaid Khan die Arbeitsethik auf den Punkt: «Arbeit ist nicht dein Leben.» Sein Tiktok-Video wird millionenfach geklickt. Journalistinnen und Influencer reden vom neuen Trend in der Arbeitswelt – vor allem bei der jungen Generation.
Überstunden und Übererfüllung
Quiet Quitting tritt die Diskussion über den Wert von Arbeit wieder los. Denn «Quiet quitting» heisst konkret: Ich arbeite nur so viel, wie es der Arbeitsvertrag verlangt. Ich lasse mich nicht vom Beruf vereinnahmen. Auf dem Weg ins Kino werden keine Arbeitsmails mehr gecheckt.
Unbezahlte Überstunden werden nicht gesammelt wie Superpunkte. Um Punkt 17 Uhr wird Feierabend gemacht. Dieser «Dienst nach Vorschrift» soll helfen, nicht auszubrennen. Der «Workaholic» hat als soziales Statussymbol ausgedient.
Gut möglich, dass die sogenannten Quiet Quitters von einer neuen Dynamik profitieren: Es herrscht Arbeitskräftemangel in einigen Branchen. Plötzlich sind viele Firmen auf die Arbeitnehmenden angewiesen, diese können besser verhandeln. Sie haben mehr Spielraum, ihre Grenzen zu setzen.
Klassenbewusstsein der Gen Z
«Es hat etwas Widerständiges», sagt die freischaffende Autorin Şeyda Kurt über das Phänomen Quiet Quitting, «deshalb ist es faszinierend». Widerständig, weil die Quiet Quitters ihren eigenen Wert nicht mehr nur über ihre Leistung definieren – über die Frage, wie viel Stress und Aufträge sie haben.
Şeyda Kurt kommt aus einer migrantischen Arbeiterfamilie. Ihre Grosseltern haben in Fabriken gearbeitet, waren mit 50 körperlich am Ende.
Die Journalistin versteht, warum viele jüngere Menschen nicht mehr die Extrameile für den Arbeitgeber gehen wollen: «Sie realisieren, dass sie trotz mehrfacher Studienabschlüsse nicht den Lebensstandard ihrer Eltern erreichen können. Und dass sich daran nichts ändert, wenn sie sich und ihre Lebenszeit für dieses System aufopfern.»
Junge Menschen entwickelten laut Kurt ein Klassenbewusstsein. Das sei ein positiver Aspekt von Quiet Quitting, so die 30-Jährige: «Die Jungen sehen ein, dass der Neoliberalismus sein Wohlstandsversprechen für alle nicht erfüllen kann.» Egal, wie fleissig und aufopfernd man arbeitet.
Quiet Quitting muss man sich leisten können
So faszinierend Şeyda Kurt Quiet Quitting findet, so widersprüchlich sei das Phänomen aber auch. Es gibt laut Kurt immer noch viele Menschen, für die Quiet Quitting keine Option sei. Sei es, weil an ihrem Arbeitsort eine grosse Kontrolle herrscht, wie etwa in der Pflege. Oder, weil ihre Aufenthaltsbewilligung an ihren Job gebunden sei.
«Gerade in prekären Sektoren, etwa bei Paketbotinnen, Pflegefachmännern oder im Detailhandel, ist die existenzielle Abhängigkeit vom Lohn zu stark», sagt Kurt.
Typisch individualistisch
Die andere problematische Seite von Quiet Quitting: «Es ist eine individualistische Protestform», hält Şeyda Kurt fest. Die Quiet Quitters organisieren sich nicht mit anderen Arbeitnehmenden wie etwa in Gewerkschaften, um etwas an den Arbeitsbedingungen zu verändern.
Sie ändern nur ihre eigene Einstellung zur Arbeit. Das greift zu kurz für Kurt. Die Lösung liege nicht im Individuellen. Şeyda Kurt setzt sich dafür ein, dass bessere Lebens- und Arbeitsverhältnisse für alle geschaffen werden sollten.
Ihre Vorstellung von Arbeit hat nichts zu tun mit sogenannten «Bullshit Jobs», wo Lohnarbeit nur noch dem Selbstzweck dient, und Menschen von ihrer Arbeit entfremdet sind. Kurt wehrt sich gegen ausbeuterische Arbeit, bei der «Menschen 24 Stunden verfügbar sein müssen, um überleben zu können oder gesellschaftlich anerkannt zu werden.»
Weg vom Status Quo der Arbeitswelt
Für Kurt ist alles im Grunde Arbeit, auch Tätigkeiten, die wir heute noch nicht Arbeit nennen: Arbeit sei das, was Beziehungen am Leben erhält. Arbeit sei Fürsorge, sei Care-Arbeit. Wichtiger als ein kurzzeitig trendendes Phänomen wie Quiet Qutting ist der Autorin, dass der Status Quo – die Strukturen in der Arbeitswelt – überdacht wird und sich nachhaltig ändert.