- Ein Foto auf dem ersten Solo-Album von Paul McCartney sieht nach Vaterglück aus und ist überschattet von der bevorstehenden Trennung der Beatles.
- John Lennon hat 1969 über «eine Scheidung» der Beatles nachgedacht, mit Hintertür.
- McCartney wird später als derjenige identifiziert, der die Beatles auflöste. Das stimmt so aber nicht.
Das Bild auf der Rückseite seiner ersten Solo-Schallplatte: Paul McCartney, bärtig, die Haare leicht zerzaust vom Wind, eingetaucht ins warme Licht des Sonnenuntergangs.
Er trägt ein weisses T-Shirt und eine fellgefütterte, dicke Jacke. Der Reissverschluss steht offen, gegen seine Brust gekuschelt, kuckt das Baby Mary in die Kamera der Mutter Linda McCartney.
Die Trennung der Beatles hängt in der Luft
Die Welt scheint in Ordnung. Das stimmt aber nicht, denn der Mann, der auf diesen Porträts den Eindruck eines wohligen Lebens vermittelt, ist gerade sehr unglücklich. Die Trennung der Beatles ist noch nicht vollzogen, aber sie hängt in der Luft.
Jahrzehnte später wird McCartney zu Protokoll geben, nicht er habe die Band verlassen, die Beatles hätten sich selbst verlassen. Die populärwissenschaftliche Forschung gibt ihm Recht: Vor ihm hatten alle bereits einmal die Band verlassen. Ringo Starr und George Harrison kehrten bald wieder zurück.
Zwischen Vaterglück und «Scheidung»
Im September 1969, also genau in dem Zeitraum, in dem Linda das Foto von Paul mit der kleinen Mary macht, verlangt John Lennon an einem Meeting «eine Scheidung», lässt sich aber dennoch ein Hintertürchen auf.
Wie McCartney eigentlich auch. Man solle diese Trennung geheim behandeln. Auf dem Foto ist beides zu sehen: Vaterglück und bevorstehende «Scheidung».
Paul McCartney zieht sich in sein Haus in Schottland zurück, trinkt zu viel und schiebt eine Depression. Wer streitet schon gerne mit den besten Kumpels, die alle in der gleichen Band spielen? Wer braucht schon einen arbeitslosen Bassisten? Ist dies das Ende einer musikalischen Karriere?
Das mag sich McCartney – gerade mal 28-jährig und bereits einer der erfolgreichsten Songschreiber aller Zeiten – fragen. Nur langsam gelingt es seiner Frau Linda, den Musiker aus seiner Trauer herauszukitzeln und ihn zu einer Solo-Platte zu ermutigen.
Die erste Solo-Platte
McCartney macht sich an die Arbeit. Ohne seine alten und auch ohne neue Weggefährten.
Was dabei herauskommt, ist erstaunlich: Das Album «McCartney» ähnelt in nichts jenem ausgereiften «Abbey Road», welches die Beatles als letztes aufgezeichnet haben.
Keine poppige Perfektion wie gerade er sie immer verkörpert hat. «McCartney» ist geradezu schludrig.
Es enthält rumpelige Instrumentals, unfertig wirkende Songskizzen und zwei, drei echte Klassiker, darunter das überragende «Maybe I’m Amazed».
Dieses erste Solo-Album ist vor allem eines: ein Distanzierungsversuch eines Beatle von den Beatles. «Jedem seine eigene Trennungs-Therapie», mag sich McCartney gesagt haben.
Als das Album fertiggestellt ist, bricht ein Streit um Veröffentlichungsdaten aus: Wer darf denn nun zuerst ein Solo-Album herausgeben, Ringo oder Paul? Und was ist mit dem letzten Album «Let it be», dem würde ein Solo-Album von Paul McCartney garantiert viel Wind aus den Segeln nehmen? Ein vergleichsweise kleiner Konflikt mit grosser Wirkung.
Einer muss immer der Schuldige sein
Am 17. April 1970 kommt das Solo-Album «McCartney» heraus, mit Lindas Foto auf der Rückseite. Eine Woche zuvor geht das Werk an die Presse, begleitet von einem Pressedossier, in dem Paul McCartney ein Interview führt und in dessen Rahmen er meint, er wisse nicht, ob die Trennung der Beatles momentan oder permanent sei.
Tags drauf schreit es die Presse in die Welt hinaus: «Paul löst die Beatles auf». Einer muss immer schuldig sein und dazu wird Paul McCartney erklärt. Er, der wenige Tage vor den andern und dem allerletzten Beatles-Werk «Let it be» eine Solo-Platte herausgibt.
Im Verlauf desselben Jahres wird der juristische Streit der Beatles auch auf musikalischem Weg ausgefochten werden. John Lennon und Paul McCartney schicken sich gegenseitig giftige Botschaften in Liedform, schreiben daneben weiter Hit um Hit (vor allem McCartney), aber ganz so unwiderstehlich wie zu den Zeiten vor den glücklichen Familienfotos soll es nie mehr werden.
Sendehinweis: Kultur kompakt, 6. Januar 2017, 8.20 Uhr, Radio SRF2 Kultur