Der Bannstrahl traf Hans Küng auf der Skipiste. 1979, kurz vor Weihnachten, entzog ihm Papst Johannes Paul II. die kirchliche Lehrerlaubnis. Hans Küng durfte nicht länger im Namen der römisch-katholischen Kirche als Professor für Dogmatik und ökumenische Theologie in Tübingen lehren.
Hans Küng, 1928 in Sursee im Kanton Luzern geboren, wurde von der Nacht- und Nebelaktion überrumpelt und schnauzte: «Ich halte es für einen Skandal, dass in einer Kirche, die sich auf Jesus Christus beruft, noch im 20. Jahrhundert Inquisitionsprozesse durchgeführt werden.»
Hans Küng wehrte sich entschieden, doch vergeblich. Die Universität richtete ihm eigens ein Institut für Ökumenische Forschung ein. Küng blieb auch Priester.
Frontalangriff gegen den Vatikan
Wie kam es zum grossen Knall? Dunkle Wolken hatten sich bereits früh zwischen Hans Küng und die Hüter der Wahrheit geschoben.
Er forderte seine Kirche zu radikalem Umdenken auf. Küng wollte die Botschaft Jesu Christi den Menschen seiner Zeit verständlich machen.
Er provozierte und hinterfragte die Unfehlbarkeit des Papstes. Ein Frontalangriff. Der Vatikan dagegen behauptete, Küng verunsichere mit seinen Thesen die Gläubigen.
Eine frühe Karriere
«Die Kirche», «Unfehlbar?», «Christ sein», «Existiert Gott?»: Mit seinen Bestsellern hatte sich der schneidige Theologe damals längst in die Herzen der Menschen geschrieben. Seine Karriere war beachtlich.
In Rom studierte er an der päpstlichen Kaderschmiede Gregoriana Philosophie und Theologie. Priesterweihe 1954 und Dissertation am Institut Catholique in Paris über die Gnade beim reformierten Theologen Karl Barth.
Zeiten des Aufbruchs
Dieser bescheinigte dem nicht einmal 30-jährigen Küng: Wenn Küngs Auffassung wirklich die Lehre der katholischen Kirche darstelle, dann bestehe in der Frage der Gnadentheologie keine Differenz zum Protestantismus.
1962 berief Papst Johannes XXIII. Hans Küng zum theologischen Berater beim Zweiten Vatikanischen Konzil, gemeinsam mit dem jungen Joseph Ratzinger, seinem späteren Kontrahenten.
Küng legte Wert auf Stil, fuhr einen Alfa Romeo. Es war eine Zeit des Aufbruchs, die für Küng mit dem Rauswurf endete.
Dialoge statt Dogmen
Aus dem Knatsch mit seiner Kirche machte Hans Küng eine Tugend. Er sprengte den engen katholischen Denkhorizont.
Er suchte das Gespräch mit Vertretern aus Dichtung, Kunst, Musik, Psychologie und Wirtschaft. Küng öffnete sich für das Gespräch mit Atheisten und mit den Weltreligionen.
Mission Weltfrieden
Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden: Für diese These reiste Küng fortan quer durch alle Kontinente und Kulturen und umgab sich mit Prominenz.
Wie eine Gebetsmühle rezitierte der Weltbürger Küng: «Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein friedliches Zusammenleben der Menschen ohne ein Weltethos der Nationen.»
«Weltethos» als Lebensprojekt
In seinem «Weltethos» formulierte Küng 1990 ethische Werte, die Angehörige aller Religionen leben können. Dabei wusste Küng sehr wohl, dass Religionen Gewalt und Kriege inspirieren oder legitimieren.
Er war aber überzeugt: «Was Religionen im Negativen können, das können sie auch im Positiven.»
Reibungen mit Ratzinger
2005 wurde der deutsche Kardinal und Glaubenshüter Joseph Ratzinger Papst. Küng und Ratzinger hatten das theologische Heu bei weitem nicht auf derselben Bühne.
Gleichwohl führten sie in lauschiger Umgebung am Sommersitz der Päpste in Castel Gandolfo ein langes Gespräch. Kontroverse Themen kamen nicht auf's Tapet.
2007 moderierte Küng die Sternstunde Religion: mit illustren Gästen wie Kofi Annan, Margot Kässmann, Adolf Ogi und Daniel Vasella.
Späte Rehabilitation
2013 betrat Papst Franziskus die Weltbühne. Sein Denken entsprach eher dem theologischen Gusto von Hans Küng.
Der Papst aus Argentinien schrieb ihm zwei Briefe. Hans Küng bilanzierte: «Das ist auf jeden Fall eine informelle Rehabilitation.»
Jahrzehnte nach der Massregelung aus Rom wurden auch dieses Jahr wieder Stimmen laut, die die Rehabilitierung von Küng forderten.
Ein facettenreiches Gesamtwerk
Krankheitsbedingt zog sich Hans Küng im Jahr 2013 zurück: Parkinson. Ein Leben lang hat er Fragen gestellt, jetzt stellten sich ihm existenzielle Fragen.
In seiner Biografie schloss Hans Küng Suizidbeihilfe nicht aus. Typisch für Küng, er kannte kein Tabu.
Hans Küng ordnete sein Reich. Er versöhnte sich mit seiner Krankheit und veröffentlicht Memoiren sowie die Gesamtausgabe seines Werkes. Am Dienstag ist er im Alter von 93 Jahren in seinem Haus in Tübingen verstorben.