Der Schweizer Historiker und Professor Urs Bitterli war bis weit über
Fachkreise hinaus bekannt. Etwa für seine Biografien zu bedeutenden Historiker-Persönlichkeiten wie Jean Rudolf von Salis oder Golo Mann.
Zudem war Urs Bitterli ein überaus innovativer Historiker und seine Forschung auch aus heutiger Sicht modern. Einer seiner Schwerpunkte war der Kolonialismus.
Kolonialismus: damals und heute
Bitterli interessiert sich unter anderem für die Frage, wie sich der Kontakt der Europäer mit Menschen in Übersee auf die europäische Kultur auswirkte. Dazu veröffentlichte er bereits in den 1970er-Jahren sein wegweisendes Werk «Die Wilden und die Zivilisierten».
Darin zeigt er, wie massiv das europäische Selbstverständnis erschüttert wurde, als man ab 1500 erkannte, dass Menschen in Übersee leben, die komplett andere wirtschaftliche, kulturelle oder soziale Strukturen entwickelt haben. Somit geriet das europäische Überlegenheitsgefühl ins Wanken.
Die Reaktionen darauf in der Alten Welt waren vielfältig - von Herablassung und Verachtung für das Fremde bis hin zur schwärmerischen Verklärung, wie etwa bei Rousseau im 18. Jahrhundert. Solche Ideen bildeten geistesgeschichtlich gesehen eine Wurzel des Rassismus, mit dem wir uns heute im Zusammenhang mit der «Black Lives Matter»-Bewegung noch immer konfrontiert sehen.
Historiker und Literat
Urs Bitterli sah sich als Wissenschaftler und somit den Fakten und nicht der Fiktion verpflichtet. Aber er hatte auch eine grosse Affinität zur Literatur. Er sah in fiktiven literarischen Werken auch Zeitzeugnisse, die Wissenschaftlern viel über eine vergangene Epoche verraten können.
«Man gewinnt den Zugang zu der nicht offiziellen Welt», sagte Urs Bitterli einst. «Als Zeitungsleser nehmen wir die Stellungnahmen der Politikerinnen, der Staatsmänner, die Urteile der Journalisten wahr. Was wir nicht über diese Quellen wahrnehmen, ist, was der ‹einfache Mann› denkt.»
Exzellenter Erzähler
So untersuchte Urs Bitterli etwa, was uns ein Erich Maria Remarque in seinen Büchern über den Horror an der Front im Ersten Weltkrieg zu erzählen hatte. Oder den Wert von Max Frischs Tagebüchern, um ein historisch korrektes Bild von Deutschland nach dem Zusammenbruch des Hitler-Staates zu bekommen.
Was Urs Bitterli als Forscher auszeichnete, neben seinen Themenschwerpunkten und Methoden, war, dass er ein grossartiger Erzähler war. Das zeigte sich in seinen Büchern, die eloquent und auch für Laien verständlich geschrieben sind, und auch an seinen Vorlesungen an der Universität Zürich, die oft rappelvoll waren.
Die Studierenden wussten, dass Urs Bitterli ein Historiker war, der Geschichte so packend erzählen konnte wie kaum ein anderer.