Noch heute erinnern in Montgomery 59 Denkmäler, Statuen und Gedenktafeln an die Zeit, als die Metropole für ein paar Monate Hauptstadt der Südstaaten, kurz: Konföderation, war.
Seit 2018 steht den Schandmalen für die Täter der Sklaverei eine Gedenkstätte gegenüber, die an die Opfer erinnert: Tausende von schwarzen Frauen, Männer und Kindern wurden in den USA nach Ende des Bürgerkriegs bis weit ins 20. Jahrhundert zu Tode gefoltert, erhängt, ertränkt, erschlagen oder verbrannt – nicht nur, aber vor allem in den Südstaaten.
Weit über eine Million Menschen sind seit Eröffnung des «Memorials für Frieden und Gerechtigkeit» ins Zentrum der Stadt gekommen, um die Gedenkstätte zu besuchen. Das Mahnmal und ein dazu gehörendes Museum haben die 200'000-Einwohner-Stadt Montgomery binnen fünf Jahren nachhaltig verändert. Im Eiltempo entstanden neue Hotels, Restaurants und Bars.
Ein Anwalt der Ausgegrenzten
Hinter der ersten nationalen Erinnerungsstätte für schwarze Opfer weissen Terrors steht Bryan Stevenson, einer der bedeutendsten Anwälte für soziale Gerechtigkeit in den USA. Der 63-jährige Afroamerikaner ist Gründer und Direktor der «Equal Justice Initiative». Die private Stiftung vertritt vorwiegend arme, schwarze Häftlinge, die in Todeszellen sitzen.
145 irrtümlich zum Tod oder unfair Verurteilten hat der brillante Prozessanwalt im Laufe der letzten 30 Jahre zu ihrem Recht verholfen. Für sein unermüdliches Engagement erhielt der Harvard-Absolvent aus bescheidensten Verhältnissen 2020 den Alternativen Nobelpreis.
Der verstorbene Bischof Desmond Tutu pries ihn als «Amerikas Mandela.» Seine Autobiografie «Just Mercy» wurde zum Bestseller, die Hollywood-Verfilmung weit über die USA hinaus zum Kino-Erfolg.
Hoffnung als Super-Power
Stevenson hofft, mit dem Mahnmal die Diskussion in Gang zu bringen, die es für eine gerechtere, friedlichere Zukunft seines Landes brauche. «Ich glaube wirklich, dass in Amerika etwas Besseres auf uns wartet», sagt er bei unserer Begegnung in seiner Stiftung.
Voraussetzung dafür sei allerdings, dass sich die amerikanische Gesellschaft endlich mit den Wurzeln der noch heute grassierenden Ungerechtigkeit und Ungleichheit zwischen Schwarz und Weiss auseinandersetze.
Das Prinzip Hoffnung liegt quasi in Stevensons Genen: Sein Ur-Grossvater wurde in Virginia versklavt geboren. «Aber er lernte lesen, weil er hoffte, eines Tages frei zu sein.» Stevensons Grossmutter war zeit ihres Lebens Hausangestellte. «Aber sie gab an ihre zehn Kinder weiter, wie wichtig Lesen ist.»
Seine Mutter hatte kaum Geld. «Aber sie verschuldete sich, um uns die Encyclopedia Britannica zu kaufen, damit wir Bücher hatten, die uns ein grösseres Bild der Welt vermittelten.»
An diesem Vermächtnis möchte Stevenson festhalten. «Für mich ist Hoffnung wichtig. Sie ist meine Super-Power. Wir brauchen sie, um mehr Gerechtigkeit und Chancen für schwache und benachteiligte Menschen zu schaffen.»
Nichts zu bereuen
Ob bei so viel Engagement überhaupt noch Zeit für ein bisschen Privatleben bleibt? Bryan Stevenson lacht kurz auf und verweist dann auf «Musik, Sport und all die Dinge», die ihm wichtig seien.
Allerdings: «Das Streben nach Gerechtigkeit kann enorm bereichernd sein. Ich würde meinen Weg mit nichts tauschen wollen. Wenn man das sagen kann, hat man wirklich nicht viel zu bereuen.»