Mit 34 gebar Anna Moser* ihren Sohn. In dessen erstem Lebensjahr stellte die Juristin fest, dass der Kindsvater sich zurückzog. Die Eltern des Neugeborenen wohnen hunderte Kilometer voneinander entfernt.
«Er zeigte kein Interesse herzukommen, auch mal da zu sein und das Kind zu übernehmen», erzählt sie. Oft habe sie das thematisiert. «Aber er wollte nicht darüber reden.»
Keinerlei Entlastung
Weil auch Anna Mosers Eltern weit weg leben, konnten sie sie im Alltag nicht entlasten. Sie war pausenlos im Einsatz: Kleinkind, Beruf, Haushalt. Darunter litt ihr Sozialleben.
Ihr fehlten dafür Zeit und Energie. Die Müdigkeit stecke ihr bis heute in den Knochen, sagt sie. Immer wieder wollte sie dem Vater den Sohn näherbringen. Sogar über die Kindesschutzstelle versuchte sie, ihm seine Verantwortung ans Herz zu legen.
«Er wich immer wieder zurück»
Er habe sich zwar auf seine Vaterschaft gefreut. Doch sein Wollen und sein Handeln widersprachen sich, sagt Moser. «Er wich immer wieder zurück.» Als der Sohn drei war, gab sie auf.
«F.* war wenig kompromissbereit. Ich musste das Kind immer zu ihm hintragen. Irgendwann war für mich der Punkt erreicht: Das mache ich nicht mehr.» Seit neun Jahren besteht keine Verbindung mehr zwischen Vater und Sohn.
Keine Nachricht, keine Erklärung
«Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke für den Sohn kamen keine, kein einziger Weihnachtsgruss, kein Kärtchen, keine Gratulation für das Geburtstagskind.» Das habe ihr wehgetan. Auch für ihren Sohn, der nie eine andere Familienkonstellation erlebt hat.
Er frage kaum nach seinem Vater. Tue er es, sagt sie, antworte sie offen. Sie denke nicht, dass ihrem Sohn eine Bezugsperson arg fehle. Denn er habe in ihr einen verlässlichen Halt. Weh tat Anna Moser auch, dass F.* sein Desinteresse nie erklärte.
«Aus seiner Sicht liegt es an mir. Und er sagte, er verzichte aus Liebe zu seinem Sohn. Rational und emotional kann ich das nicht nachvollziehen.» Die Idee, gemeinsam eine Mediation in Anspruch zu nehmen, habe er abgelehnt.
Tragfähige Beziehungen
Es könne schmerzhaft für ein Kind sein, wenn sich sein Vater nie meldet, sagt die Psychologin Sabine Brunner vom Marie-Meierhofer-Institut für das Kind. «Was man als Kind erlebt, prägt fürs Leben. Auf den ersten Beziehungserfahrungen bauen die Persönlichkeit und das Gefühl vom Selbst auf.»
Das Kindswohl hänge nicht davon ab, ob die leiblichen Eltern die Bezugspersonen seien, sagt die Psychologin. Andere Menschen könnten diese Aufgabe auch wahrnehmen. Für Anna Moser und ihren Sohn war das Tagesheim wichtig, wegen der Arbeit und der Kontakte für das Kind.
Die Liebe ist zentral
«Es ist gut, verschiedene Rollenvorbilder zu haben, Männer wie Frauen, und von ihnen geliebt und aufgenommen zu werden», sagt Sabine Brunner. Essentiell sei, die Bedürfnisse des Kindes ernst zu nehmen und es liebevoll zu behandeln.
Einer Mutter, die mit ihrem Kind alleingelassen wurde, fehlt eine Person, um den Alltag zu bewältigen. Sabine Brunne sagt: «Es ist eine grosse, schwierige Aufgabe, gleichzeitig die Betreuung des Kindes gut aufrechtzuerhalten, für die Finanzen zuständig zu sein und die Sozialkontakte zu pflegen.»
Die Schatten des Stiefvaters
Warum? Weshalb verweigert sich ein Vater seinem Nachwuchs? Anna Moser vermutet, der Vater ihres Sohnes, selbst vaterlos aufgewachsen, habe mit seinem Stiefvater Schlechtes erlebt, das er nicht aufarbeiten wolle.
Psychologin Brunner sagt: «Manche Menschen finden nicht in die Elternrolle und sind schnell wieder weg. Andere sind wegen der Paarbeziehung oder der Elternschaft emotional verletzt oder in so grosse Bedrängnis geraten, dass sie fliehen.» Andere Väter erkrankten psychisch oder glitten in eine Sucht ab.
Was bleibt?
Bei Anna Moser bleibt «eine Mischung aus Müdigkeit und Wut» zurück – und Unverständnis, Ohnmacht: «Die Ohnmacht zu wissen: Das Potenzial für eine schöne Beziehung zwischen Vater und Kind ist da, aber sie kann nicht gelebt werden.» Sollte ihr Sohn aber eines Tages seinen Vater kennenlernen wollen, würde sie dem nicht im Weg stehen.
* Name der Redaktion bekannt.