«Im Umgang mit Hass fehlt es mir an Erfahrung. Ich weiss noch nicht, was ich mit ihm anstellen soll und was er mit mir machen kann.»
Das schreibt Georg Metger in seinem neu erschienenen Buch. Das Schreiben hilft ihm, im Gefühlschaos nicht zu ersticken. Es hilft ihm, die Sprache wiederzufinden, nach der akribisch und auf lange Hand geplanten Bluttat durch einen bislang unbescholtenen Dorfbewohner.
205 Seiten Traumaarbeit
Das Schreiben als Überlebenshilfe, als Ariadnefaden heraus aus dem labyrinthischen Trauma: Gut 27 Monate nach dem Schock liegen die 205 Seiten nun vor.
Die mediale Aufmerksamkeit für den Täter ist gross. Thomas N. interessiert Hundertausende. Was aber ist mit den Opfern? Verschwinden sie, wie so oft, wenn sich der Abgrund des Grauens auftut?
Buch gibt den Opfern ein Gesicht
Das Verdienst des eben im Verlag Wörterseh erschienenen Buches ist es, die Opferperspektive zu erhellen. Es verschafft den vier Opfern und ihren Liebsten ein Gesicht.
Die Journalistin Franziska K. Müller hat es gemeinsam mit Georg Metger verfasst. Gewidmet ist es den vier Mordopfern: Carla, Dion, Davin und Simona. «Das schriftliche Festhalten der schrecklichen Geschehnisse hatte in der schlimmsten Zeit meines Lebens eine heilende Wirkung», schreibt Metger.
Schicksale der Hinterbliebenen
Metger schafft es, nicht nur auf sich selber bezogen zu bleiben. Er gibt Einblick in verschiedene Schicksale von Hinterbliebenen.
Sie alle müssen auf ihre eigene Weise ganz neu Tritt fassen nach der Erschütterung: die Eltern und der Bruder der ermordeten Carla Schauer, ihre besten Freundinnen, die Eltern von Simona, der Freundin des älteren Sohnes.
Davon ausgehend braucht es wenig psychologische Fantasie, um sich vorzustellen, dass noch ganz andere mit dem Weiterleben zu kämpfen haben. Sie alle kommen in dem Buch nicht vor.
In ihrem Innersten erschüttert sind sicher aber auch viele ArbeitskollegInnen, die Peers der drei jungen Mordopfer, mehrere Lehrpersonen und Lehrlingsausbildner. Und was ist wohl mit der Mutter des Täters? Und: Wie findet eine ganze Dorfgemeinschaft einigermassen zurück in den Alltag?
Dörfliche Geborgenheit ist zerstört
Das Buch gibt Einblick in vielfache Verluste. Verloren ist das Gefühl von Sicherheit in der dörflichen Geborgenheit. Die Menschen schlossen die Türen selten ab. Nun verriegeln sie diese. Teenager schlafen wieder im Elternbett. So halten sie ihre Angst in Schranken.
Das Urvertrauen ist für viele futsch. Ihr Menschenbild kommt ins Wanken. Ihr ganzes Weltbild verrutscht: Das, was man immer da draussen und bei den anderen vermutet hatte, passierte nun in der dörflichen Adventsidylle gleich um die Ecke.
Georg Metger beschreibt, wie auch er Angst hatte, den Verstand zu verlieren. «Die Welt ist mir innerhalb eines Tages fremd geworden.»
Zusätzlich zu seinem Emotionschaos aus Fassungslosigkeit, Trauer, Wut, Hass und Orientierungslosigkeit musste er ertragen, dass er fast ein halbes Jahr als Hautpverdächtiger galt.
«für immer» in der Vielfalt der Bedeutungen
Trotz allem: Georg Metger ist seelisch widerstandsfähig, resilient. Wie er dank seinen leiblichen Söhnen, dank seinem Arbeitgeber, dank den Eltern seiner Geliebten, dank Freundinnen und Freunden langsam wieder Tritt fasst nach dem Schock, ist eindrücklich beschrieben. Aber das «für immer» bleibt in seiner Vielfalt seiner Bedeutungen.
Nun ist es da. Schwarz auf weiss. «Mein grösster Wunsch ist es, das mit diesem Buch Carla, Dion, Davin und Simona, die mir und uns auf die denkbar schrecklichste Art und Weise entrissen wurden, niemals in Vergessenheit geraten und nicht nur als Opfer in Erinnerung bleiben, sondern als das, was sie waren: einzigartige, wunderbare Menschen.»