1. Querdenker
Vor der Pandemie war ein «Querdenker» jemand, der unkonventionell denkt. Ein positiv besetzter Begriff, verlangen doch auch Unternehmen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, «out of the box» zu denken, kreative Ansätze zu entwickeln. Mit Corona wurde der Inhalt des Worts verschoben.
«Dass sich Begriffe verändern und umgewertet werden, ist normal», sagt Peter Schlobinski, Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsche Sprache und Professor für Germanistische Linguistik in Hannover. Wörter würden «dekontextualisiert» und «rekontextualisiert», einem Zusammengang entnommen und in einen neuen gestellt.
Das günstig konnotierte «quere» Denken bedeutet heute einzig noch Corona-Skepsis oder Schutzmassnahmenkritik. Zudem suggeriert «Querdenker» Homogenität und Einigkeit unterschiedlicher Gruppierungen.
2. Spaziergang
Selbst das harmlose Sich-die-Beine-Vertreten ist zumindest in Deutschland zu einem Kampfbegriff geworden. «Spazieren» kann Demonstrieren bedeuten. Von der «Funktionalisierung eines positiven Begriffs» spricht Schlobinski auch hier. «Mit diesem Wort wird auch der Rechtsstaat ausgetrickst. Demonstrationen müssen angemeldet werden. Das liess sich umgehen, indem man zu ‹Spaziergängen› aufruft.»
3. Widerstand
Besonders stossend ist, wie «Corona-Skeptiker» das Wort «Widerstand» verwenden. Denn es ist historisch eng mit der «Résistance» gegen die Nazi-Diktatur verbunden.
Dass Menschen ihre Opposition gegen demokratische Rechtsstaaten so bezeichnen, deutet laut dem Linguisten Schlobinski darauf hin, «dass man offensichtlich Probleme hat, sich an Normen und Regeln zu halten, die in diesen demokratischen Systemen gelten.»
Die Vokabel «Widerstand» signalisiere, dass der Staat als System «von oben» betrachtet werde, «als Feind», gegen den es zu kämpfen gelte, sagt Schlobinski. Die Realitätsverzerrung geht so weit, die Schweiz oder Deutschland als «Diktatur» zu bezeichnen.
Wer an wirkliche Zwangsregime denkt – Nazi-Deutschland, Mussolini-Italien, die Sowjetunion, Franco-Spanien, Nordkorea, Weissrussland – kann ob solcher Polemik nur entsetzt sein.
4. Mainstream
Ein Schlagwort, das ebenfalls Verbreitung gefunden hat, ist «Mainstream», eigentlich ein Wort aus den Kulturwissenschaften. Es bezeichnet den kulturellen Geschmack der grossen Mehrheit, dem minderheitliche Subkulturen entgegenstehen.
Diese beanspruchen Innovation, Eigenständigkeit, Frische für sich. Während der «Mainstream» bloss einmitte, einebne, ja – gemäss seiner Pandemiebedeutung – andere Meinungen unterdrücke und verbieten wolle.
Diese Auffassung von «Mainstream» beruht laut Schlobinski auf mindestens drei Fehlüberlegungen. Erstens ist die Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert. Zweitens existiert in pluralistischen Gesellschaften nicht die gültige Denkströmung, die anderes plattwalzen könnte. Und drittens äussern die, welche behaupten, man dürfe etwas «heute gar nicht mehr sagen», am lautesten ihre Ansichten – ohne Konsequenzen.
Im Begriff «Mainstream» dringe «das Moderne» der Rechten durch, sagt Peter Schlobinski. Sie würden häufig Anglizismen verwenden, «was auch damit zusammenhängt, dass sie zu den amerikanischen Rechten einen Bezug haben, weil sie mittlerweile international vernetzt sind.»
5. Volk
In der Bundesverfassung bedeutet «Volk» alle Menschen, die im Land leben. Es ist ein Klassiker unter den umkämpften Wörtern. Victor Klemperer schrieb 1933 in seinem Klassiker «LTI»: «‹Volk› wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie Salz beim Essen, an alles gibt man eine Prise Volk: Volksfest, Volksgenosse, Volksgemeinschaft, volksnah, volksfremd (…)».
Das bedeutet nicht, dass «Volk» 2022 an sich ein Unwort wäre, sondern dass, wer es braucht, sich bewusst sein muss, welchen Geruch es je nach Verwendung verströmt. Wer dazugehört und wen der Begriff ausschliesst. Deshalb sprechen auch in der Schweiz manche lieber von der «Bevölkerung» als vom «Volk».