Hexenverfolgung! Auf Twitter beschwört sie vor allem einer: Donald Trump. Angesichts der Russland-Ermittlungen sah der US-Präsident sich als Opfer der «grössten Hexenjagd auf einen Politiker in der Geschichte Amerikas».
Nicht nur Trump spricht von einer Hexenjagd. Auch Männer aus Hollywood fürchten sich: vor der #MeToo-Bewegung und den möglichen Vorverurteilungen, die sie mit sich bringt.
«Das alles sollte nicht zu einer Hexenjagd-Atmosphäre führen, wo jeder Mann, der im Büro einer Frau zuzwinkert, einen Anwalt braucht. Das wäre auch Unrecht», so Regisseur Woody Allen.
Alter Begriff, altbewährte Muster
Hexenjagd ist kein neuer Begriff. Aufgekommen sei er im 18. Jahrhundert nach der grossen Welle an Hexenprozessen in Europa, erklärt Claudia Opitz.
Sie ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Basel und beschäftigt sich seit langem mit Hexenverfolgung und feministischer Geschichte.
«Es war ein Begriff, der eine fanatische, blinde Vorgehensweise der Justiz beschrieb: Ohne nach rechts und links zu schauen, suchte man nach völlig falschen oder unmöglichen Verbrechen.»
Die Bekämpfung des Bösen
Die Hexenjagd war die Suche nach und Bekämpfung des Bösen. «Man glaubte, in der Hexe werde das Wirken des Teufels in der Welt sichtbar», erklärt die Historikerin.
Vor mehr als 300 Jahren wurden in Europa mehrheitlich Frauen für das Böse in der Welt verantwortlich gemacht. «Das ging vom schlechten Wetter über Krankheiten oder eine Kuh, die keine Milch mehr gab, bis hin zum verschwundenen Tafelsilber.»
#MeToo als Vorverurteilung?
Heute seien die Männer die Verfolgten. So zumindest lautet der Vorwurf einzelner Männer. Sie erklären #Metoo zu einer Hexenjagd, in der die Männer zur gejagten Hexe werden.
Der Mann als gejagte Hexe. Geht das? Matthias Heine, Kolumnist der Zeitung «Die Welt», findet diese Wortwahl legitim. Auch Männer seien in der Geschichte von Hexenjagden betroffen gewesen. Zudem sei der Begriff auch immer im übertragenen Sinne verwendet worden. Dabei stehe eins im Zentrum: die Vorverurteilung.
«Wer heute von Hexenjagd spricht und sich selbst damit meint, wehrt sich damit inzwischen eher gegen die öffentliche Besprechung und Bewertung seiner Handlung», schreibt Netzexperte Sascha Lobo. Bezeichne man sich selbst als Opfer einer Hexenjagd, mache man sich dadurch zum unschuldigen, gesellschaftlich vorverurteilten Opfer.
Man sei heute weit entfernt von einer Hexenjagd auf Männer, sagt Historikerin Claudia Opitz. Allerdings sieht sie eine Parallele zur historischen Hexenverfolgung: «Wenn die Beschuldigung selbst bereits als Beweis für die Schuld verwendet wird, wird es problematisch.»
Man könne einen Vergleich zwischen der digitalen Öffentlichkeit und dem mittelalterlichen Pranger ziehen: «Vor dem 19. Jahrhundert war es eine Strafe, an den Pranger gestellt zu werden. Man wurde öffentlich eines Vergehens oder gar Verbrechens bezichtigt.» Kontrollinstanzen, die das öffentliche Anprangern damals kontrollierten, fallen heute beim digitalen Pranger mehrheitlich weg.
Die starke Hexe
Während einzelne Männer sich heute allegorisch als verfolgte Hexe stilisieren, bezeichnen sich auch gewisse Frauen als Hexen. Doch statt sich als Opfer zu sehen, nutzen sie die Hexe als Bild für eine starke, selbstbewusste Frau. So dreht etwa Lindy West, eine US-amerikanische Feministin, den Spiess rhetorisch um.
Sie richtet sich direkt an jene Männer, die #MeToo als eine Hexenjagd bezeichnen: «Ihr besteht darauf, dass es eine Hexenjagd ist? Dann bin ich die Hexe und jage euch», schreibt sie. Die Hexe wird zur Jägerin statt zur Gejagten.
«Die Hexen kommen»
Mit Lindy West wird die Frau zur Tatkräftigen, die Gewalt sichtbar machen kann: «Die Hexen kommen. Aber wir trachten nicht nach eurem Leben, sondern wir jagen euer Vermächtnis.» Als Waffe in diesem Kampf hätten sie zwar weder Geld noch politische Macht, «aber wir haben unsere Geschichten und wir werden sie weiterhin erzählen».
Für Lindy West ist die Selbstbezeichnung als Hexe eine Notwendigkeit. Ihre Hexenjagd spricht den Männern die Opferrolle ab. #MeToo ist für West nicht eine ungerechtfertigte Jagd nach dem Bösen, sondern eine Bewegung, in der die Opfer aktiv gegen die Täter vorgehen.
Hexen gegen das Patriarchat
Diese willensstarke Hexe ist aber keine Erfindung der #MeToo-Bewegung. Um 1920 kam der Wicca-Kult auf. Eine Frauenbewegung, die sich durch religiöse und magische Praktiken von den Kontrollmechanismen des Patriarchats befreien wollte, erklärt Historikerin Opitz.
Auch während der Frauenbewegung in den 1960er- und 1970er-Jahren schlüpften Frauen in Frankreich und Italien in die Rolle der Hexen. In den USA formierte sich im Januar 1968 der «Witch Bloc» gegen die Wahl von US-Präsident Richard Nixon.
Feministische Amerikanerinnen wollten die Hexen der Frühen Neuzeit rehabilitieren und attestierten ihnen Mut zu Aggressivität, Intelligenz, Unabhängigkeit und sexuelle Freiheit. Gleichzeitig sahen sie sich selbst als Hexen – mit denselben Attributen.
Frauen, die gegen die Regeln verstossen
Vor diesen Hexen fürchteten sich die Männer. «Die Feministinnen waren die Hexen: Mächtige Frauen, die gegen die Regeln verstossen haben und sich nicht vom Patriarchat die Grenzen zeigen liessen», erklärt Claudia Opitz.
Nochmals knapp 50 Jahre später, 2017, stehen Frauen mit schwarzen Spitzhüten auf den Strassen von Paris.
Auch sie nennen sich «Witch Bloc» und kämpfen für soziale Gerechtigkeit und gegen jede Art der Unterdrückung. Sie stellen sich als feministische Hexen gegen das Patriarchat, aber eben nicht nur.
Die feministischen Hexen
Diese jungen Feministinnen halten an der «ungeschlagenen Kraft der Frauen» fest, wie es die Westschweizer Journalistin Mona Challet formuliert: «Die Hexe ist zum einen das absolute Opfer, auf der anderen Seite die hartnäckige, aber schwer greifbare Rebellin.»
Donald Trump spricht von Hexenjagd und macht sich damit zum Opfer. Die Feministinnen bezeichnen sich als Hexen und machen sich damit zu Rebellinnen.
Der Begriff der Hexe ist heute eine sprachliche Waffe. Um anzugreifen oder um Anschuldigungen wegzukehren. Den Besen in die Hand nehmen kann, wer will. Ausschlaggebend ist, wie man ihn einsetzt.