Der britische Autor H.G. Wells war ein Meister der Science-Fiction. Er schaute sich an, was in der Wissenschaft seiner Zeit passierte, und entwickelte daraus faszinierende Zukunftsvisionen, zum Beispiel «Der Krieg der Welten» oder «Die Zeitmaschine».
Diese beiden Bücher sind heute weltbekannt. Ein anderes Werk von Wells hingegen fristet ein Schattendasein: «Befreite Welt» aus dem Jahr 1914. Dabei hätte das Buch es ebenso verdient gelesen zu werden. Literarisch ist es zwar keine Wucht, aber inhaltlich umso mehr. In dem Buch beschreibt Wells nämlich die Folgen einer neuartigen Bombe. Einer Bombe, die auf Radioaktivität basiert. Er nannte sie «Atombombe» – und prägte damit einen Begriff, den wir bis heute brauchen.
Unbekannte Kraft
Die Radioaktivität ist damals noch kaum bekannt. Weder weiss man, was ein Atomkern genau ist, noch, wie die Radioaktivität zustande kommt. Doch der britische Autor erkennt schon damals, wie diese schier unerschöpfliche Naturkraft die Welt verändern könnte. Er sieht ein neues Zeitalter heraufziehen, das Atom-Zeitalter.
Das beginnt nicht mit dem Knall einer Atombombe, sondern mit Flugzeugen, die dank der Atomkraft fliegen. Die neue Energiequelle erfreut die Menschen. Ein Problem mit radioaktivem Abfall gibt es nicht, denn das Endprodukt des radioaktiven Zerfalls ist in Wells‘ Vision pures Gold. Wie praktisch. Daraufhin taucht zwar der Goldpreis in den Keller, aber sonst hat die Radioaktivität erst einmal nur gute Seiten. Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wohin das alles führen könnte.
Gespenstische Weitsicht
Erst allmählich gerät die Gesellschaft aus dem Lot. Dann kommt es zum Krieg, mit Atombomben-Hagel auf allen Seiten bis zur absoluten Zerstörung. Schliesslich merkt die Menschheit, wie sinnlos so ein Atomkrieg ist. Eine Art Weltregierung wird gegründet; Frieden kehrt ein.
Es ist gespenstisch, wie Wells hier die Zukunft vorwegnimmt – lange bevor die Kernspaltung erstmals gelang, auf der heute die Atomkraft basiert. Die Kernspaltung sah H.G. Wells nicht voraus. In seinem Buch ist es ein nicht genau beschriebener Mechanismus, der den radioaktiven Elementen ihre Kraft entlockt. Und doch ist H.G. Wells der Realität so nahe gekommen wie kaum ein Science-Fiction-Autor vor und nach ihm.
In die Zukunft hineingewirkt
Ausserdem hat das Buch eine sehr interessante Wirkungsgeschichte: Es fiel nämlich in den 1930er-Jahren dem Physiker Leo Szilard in die Hände. Nach der Lektüre hatte der Forscher die Idee zur nuklearen Kernspaltung. Das Buch sei eine Inspiration gewesen für ihn, gab er zu Protokoll. Später entwarf Leo Szilard für Albert Einstein jenen Brief, in dem Einstein den amerikanischen Präsidenten Roosevelt aufforderte, eine Atombombe zu entwickeln. Mit den bekannten schrecklichen Folgen. Noch später setzte sich Leo Szilard dann gegen die Atombombe ein und für den Frieden.
So hat H.G. Wells mit seiner Zukunftsvision vielleicht sogar den Lauf der Geschichte in unserer Welt beeinflusst.