Darum geht’s: Angefangen hatte es mit einem Social-Media-Post der Irin Shelby Lynn. Ihr Vorwurf: Vor wenigen Wochen sei sie an einem Rammstein-Konzert in Vilnius unter Drogen gesetzt worden. Till Lindemann habe mit ihr Sex haben wollen, was sie jedoch abgelehnt habe. Es folgte eine Recherche des NDR und der «Süddeutschen Zeitung» mit weiteren Anschuldigungen gegen den 60-jährigen Lindemann: Mehrere junge Frauen beschreiben ein System, bei dem sie offenbar vom Rammstein-Team aus der «Row Zero» vor der Bühne gezielt für Sex mit Lindemann im Backstage rekrutiert wurden.
Die Vorwürfe: Frauen berichten von sexuellen Handlungen, denen sie nicht zugestimmt hätten. Alles sei «ziemlich schnell und ziemlich gewaltvoll» gewesen. «Aber ich wollte eben auch nicht sagen, dass es wehtut, weil es war eben Till Lindemann», sagte etwa eine damals 22-jährige Betroffene über einen Vorfall vor drei Jahren. Andere Frauen berichten von illegalen Drogen, die ihnen verabreicht wurden.
Die Fakten: Die Frauen äussern sich anonym, zur Polizei gingen die Betroffenen damals nicht. Aber Freundinnen aus dem Umfeld bestätigen gegenüber NDR und SZ die Geschichten glaubhaft. Heute bezeichnet eine Betroffene den damaligen Sex mit Lindemann als Übergriff und als Machtmissbrauch. Zudem belegen mehrere Frauen mit Screenshots aus Chats und Fotos ihre Aussagen.
Die Reaktionen: Die Vorwürfe wurden von verschiedensten Medien weltweit aufgegriffen. Lindemann selber und das Management von Rammstein taten die Vorwürfe aus Vilnius als unwahr ab. In den sozialen Medien solidarisierten sich zahlreiche Frauen mit den mutmasslichen Opfern. Auf der anderen Seite nahm eine Kampagne von Frauen ihren Lauf, die sich hinter Rammstein stellten. Laut NDR und SZ hat eine Frau aus dem Umfeld Lindemanns die Kampagne angeheizt.
Die Stellungnahme der Band: Am 4. Juni schliesslich nahm die Band erstmals öffentlich Stellung auf Instagram und schrieb von «Irritationen und Fragen», die bei Fans entstanden seien. «Die Vorwürfe haben uns alle sehr getroffen und wir nehmen sie ausserordentlich ernst», heisst es. Die Band verurteile jede Art von Übergriffigkeit und jene, die Anschuldigen erhoben habe, hätten ein «Recht auf ihre Sicht der Dinge». Jedoch: «Wir, die Band, haben aber auch ein Recht – nämlich ebenfalls nicht vorverurteilt zu werden.»
Die bisherigen Konsequenzen: Die Vorwürfe hatten bereits erste Konsequenzen: Der Verlag Kiepenheuer & Witsch beendet mit sofortiger Wirkung seine Zusammenarbeit mit Rammstein-Sänger Till Lindemann. Der Kölner Verlag, der die Bände «In stillen Nächten» und «100 Gedichte» mit teils heftig umstrittenen Gedichten Lindemanns veröffentlicht hatte, gab seine Entscheidung am Freitag bekannt. «Mit Erschütterung haben wir in den letzten Tagen öffentlich gewordene Vorwürfe gegen Till Lindemann verfolgt», schrieb Verlegerin Kerstin Gleba.
Die laufende Tour: Auf die Europa-Tour haben die Vorwürfe bis jetzt keinen Einfluss, die Konzerte finden statt. Am 17. und 18. Juni treten Rammstein an zwei Konzerten im Berner Wankdorf-Stadion auf. Der Schweizer Veranstalter Gadget abc wollte sich gegenüber den Tamedia-Zeitungen nicht zu den Vorwürfen äussern. «Wir verfolgen die laufenden Geschehnisse. Auf erhobene Anschuldigung können wir keine Stellung beziehen.»