Schüsse in Tasmanien – hunderte, tausende. Sie hallen bis heute nach. Wenn es einen Moment gibt in der jüngeren Geschichte Australiens, der das Land fundamental verändert hat – politisch, juristisch, gesellschaftlich – dann war es diese Stunde des Terrors.
An einem Sonntagnachmittag im April 1996: Martin Bryant, ein 28-Jähriger mit blonder Mähne, tritt in ein Café der Touristenanlage Port Arthur im Süden der Insel.
Mit einem halbautomatischen Gewehr der Marke Colt erschiesst er in 15 Sekunden 12 Gäste und Angestellte. Zehn weitere werden zum Teil schwer verletzt. Draussen fliehen die Menschen.
Doch auch mit ihnen hat Bryant keine Gnade. Eine Mutter fleht um das Leben ihrer beiden kleinen Mädchen. Bryant grinst nur und drückt ab. Schuss um Schuss, Magazin um Magazin. 35 Menschen sterben an diesem Tag, viele weitere wurden verletzt. Port Arthur war das grösste Massaker im modernen Australien.
Rasantes Anti-Waffen-Programm
Nur Monate später, und eine Tat in diesem Ausmass wäre kaum mehr möglich gewesen. In Rekordzeit hatte das Land Gesetze eingeführt, die nicht nur den Import von Schnellfeuerwaffen verboten, sondern auch den Besitz. Canberra begann, Halbautomaten zurückzukaufen.
Der Protest gegen die Massnahmen war laut und kam aus den üblichen Ecken: Ultrarechte Nationalistengruppen, Schützenvereine und Landwirte. Es hagelte Warnungen vor einer vermeintlichen Entwaffnung redlicher Bürger durch den Staat. Premierminister John Howard musste eine kugelsichere Weste tragen. So bedroht fühlten sich er und Mitglieder seiner Regierung.
Absurde Ängste
Absurde Ängste verbreiteten sich in den Medien. Bei einer nun zwangsläufigen Invasion des Kontinents durch «Chinesen» und «Muslime» könne man Frau und Kühe nicht mehr verteidigen. «Seit ich ein Teenager bin, schlafe ich mit meinem geladenen Halbautomatischen neben dem Bett», gab der Baggerfahrer und Hobbybauer Peter zu Protokoll.
Er wolle bereit sein, wenn «die Horden aus dem völlig überfüllten Indonesien» kämen. Die würden schliesslich nur darauf warten, «unseren fast leeren Kontinent zu besiedeln».
Tausende Waffen zurück
Doch die Australier, die gerne den Mythos zelebrieren, ein rebellisches, antiautoritäres Volk von Pionieren zu sein, taten, was sie eigentlich immer tun: Sie folgten dem, was ihnen die Politiker vorschreiben.
In diesem Fall zu Recht. Das Programm wurde zum vollen Erfolg. Tonnen von Waffen wurden auf Polizeidienststellen im ganzen Land abgegeben, die Besitzer vom Steuerzahler entgeltet. Zehntausende Gewehre landeten im Schmelzofen.
Seither ist das Land eines der sichersten der Welt, was Feuerwaffen angeht. Wer ein Gewehr kaufen will – Einzelschuss mit kleinem Magazin – muss zwingende Gründe haben: Betätigung in der Landwirtschaft oder Mitgliedschaft in einem Schützenklub. Angst vor Invasion ist keiner dieser Gründe.
Wer eine Waffe besitzen darf, nach Absolvierung eines Tests und einer wochenlangen Wartezeit, muss sich an strikte Vorschriften halten, was Transport, Aufbewahrung und Sicherheit angeht. Sogar wie der Waffenschrank montiert sein muss, ist vorgeschrieben. Es gibt Stichkontrollen durch die Polizei. Die Lizenz wird alle paar Jahre überprüft.
Statistik zeigt Erfolg
In 22 Jahren hat es in Australien keine Massenschiesserei mehr gegeben. Die Zahl der Gewaltverbrechen mit der Feuerwaffe ist auf ein Minimum geschrumpft.
2014 fiel die Mordrate auf unter eine Person unter 100'000 Einwohnern – ein Fünftel der USA. Nur bei 32 der insgesamt 238 Tötungsdelikten – 1990 waren es noch 307 – waren Feuerwaffen involviert.
Das in einer Nation von 24 Millionen Menschen. In der amerikanischen Stadt Chicago mit etwa 2,7 Millionen Einwohnern wurden im letzten Jahr mehr als 500 Menschen erschossen.
Auch die Selbstmordrate unter Verwendung einer Feuerwaffe ist in Australien nach Port Arthur um 80 Prozent zurückgegangen, so Forscher in einer Studie. Ein Versuch, sich mit einem Gewehr das Leben zu nehmen, ende wesentlich häufiger tödlich als mit anderen Mitteln, sagen Experten.
Heute bescheinigen selbst Kritiker, das Land sei sicherer. Schützen haben sich längst an die verschärften Bedingungen gewöhnt. Und die Chinesen und die Muslime haben Australien trotz der «Entwaffnung» nicht überfallen.
Das hält aber Leute wie Peter nicht davon ab, weiter mit dem Gewehr neben dem Bett zu schlafen. Allerdings ist es heute eine Schrotflinte. Mit zwei Patronen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 23.02.2018, 06:50 Uhr.