19 Kinder wurden letzte Woche an einer Schule in Texas erschossen, diese Woche vier Menschen in einem Spital in Oklahoma. Und trotzdem: Für viele US-Amerikanerinnen und -Amerikaner bleibt die Waffe etwas Positives.
Das liegt nicht nur am 2. Verfassungszusatz, der am 1791 verabschiedet wurde und der Regierung verbot, das Recht auf Waffenbesitz einzuschränken. Es liegt auch nicht nur daran, dass Waffen seit der Kolonialzeit etwas Alltägliches sind.
Eine Legende namens Lederstrumpf
Die positiv belegte Waffenkultur in den USA gründet vor allem im Glauben, dass der Waffenbesitz einem höheren Zweck diene. Den lieferte die schnelle Mythologisierung der eigenen Geschichte.
Beispiel Daniel Boone: Der Gründungsvater von Kentucky wurde schon zu Lebzeiten 1784 durch ein Buch zur Legende. Er inspirierte knapp 50 Jahre später den Schriftsteller James Fenimore Cooper zu seinem Helden Lederstrumpf. Dieser wiederum war Vorbild vieler Autoren von Groschenheften, die in den 1850er-Jahren aufkamen.
Am Anfang war der Jäger
Daniel Boone stand Pate für den ersten Helden der US-Legendenkultur: den Jäger. Der Kern all dieser Geschichten war ähnlich: Der Jäger suchte in der Wildnis die Reinigung von der sündigen Zivilisation.
Das Gewehr war bei diesem fast religiösen Prozess mehr als ein Gebrauchsgegenstand. Es war das Instrument, mit dem er die Gefahren der Wildnis meisterte und sich dabei erneuerte.
Der Cowboy mit Colt wird cool
Ab den 1870er-Jahren wurde die Jäger-Figur der Groschenhefte vom coltschwingendem Cowboy verdrängt. Der gab der Waffenkultur erst so richtig Schub.
Wie beim Jäger wurden reale Personen wie Sheriff Wyatt Earp oder Outlaw Jesse James Stoff für Legenden. Dazu gesellten sich fiktionale Revolverhelden.
Die mythologischen Cowboys in Geschichten waren weisse Männer, die mit dem Sechsschüsser in der Hand gegen Indigene oder Banditen kämpften und das Recht in die eigene Hand nahmen.
Der Colt war ihr Mittel, sich durchzusetzen. Die Waffe und sein Träger wurden zum Zentrum des amerikanischen Gründungsmythos: ein Ideal.
Eine Waffe kann Wunder wirken
Die Waffe bekam im Laufe der Zeit einen Zweck, der bis heute besteht: Als Symbol für Wehrhaftigkeit, Patriotimus und Schutz der persönlichen Freiheit, die es zu verteidigen galt. Zur Not auch gegen eine fehlerhafte Regierung.
Es sind genau diese Punkte, die Konservative benutzen, wenn sie gegen Waffenkontrolle argumentieren.
Superhelden, die neuen Cowboys
Bücher, Hörspiele, Comics, Filme und Serien vertieften im 20. Jahrhundert den Waffenkult. Colts und Cowboys gehörten in den 1950er-Jahren ins Kinderzimmer. Western-Darsteller wie John Wayne machten klar: Nur wer schnell zieht, siegt.
Die Superhelden, die in den 1940er-Jahren aufkamen, waren die Cowboys des Atomzeitalters. Die meisten brauchten keinen Colt mehr. Sie selbst waren die Waffe.
Negative Folgen für die Gesellschaft
Weil Waffen als Wahrzeichen für Freiheit und Stärke gelten, wird in den USA über ihre Kontrolle so emotional debattiert. Colt und Kuhhirten als nationaler Mythos: Das hat Folgen.
«Dieses Cowboy-Image (...) nährt die Überzeugung, dass wahre Männer Situationen mit Gewalt beherrschen», schrieb die Historikerin Heather Cox Richardson nach dem Massaker in Texas in ihrem Substack-Newsletter.
Die Dinge wandeln sich. Weil man mittlerweile anders auf die Geschichte schaut und die der Frauen, Indigenen und Afro-Amerikaner integriert. Langsam wird der alte Mythos begraben und damit die Liebe zur Waffe. Aber das wird dauern.