Das Wichtigste in Kürze
- Der US-Wahlkampf hat gezeigt: Filterblasen verengen den Blick auf die Welt.
- 38 Prozent aller Meldungen über Donald Trump in den sozialen Medien waren falsch.
- Donald Trump selber hat aktiv über Facebook und Twitter Falschmeldungen verbreitet.
- Regionale Zeitungen – früher zentral in der politischen Berichterstattung und Meinungsbildung – haben in den USA massiv an Einfluss verloren.
SRF: Donald Trump genoss vor seiner Wahl eine doppelte Medienpräsenz. Einerseits wegen seiner Provokationen. Andererseits, weil seine Gegner seine Provokationen massiv kritisierten. Warum hat diese Kritik so wenig gebracht?
Stephan Russ-Mohl: Das hat eine ganze Menge mit den neuen Medien tun. Denn dort entstehen die sogenannten Filterblasen. Jene Kommunikationsräume also, in denen man unter sich bleibt und nicht mehr zur Kenntnis nimmt, was links und rechts von einem passiert.
Wenn man Nachrichten aber nur noch von Gleichgesinnten zugespielt bekommt, kriegt man nur noch partiell mit, was sich draussen in der Welt sonst so tut. Das ist sehr gefährlich. Weil es dazu führt, dass die Gesellschaft sich immer mehr spaltet.
Das heisst: Die traditionellen Medien wie die «New York Times» oder «Washington Post» kamen gegen diese Filterblasen nicht mehr an?
Wahrscheinlich ja. Wobei wir jetzt auch mal in die USA selber schauen müssen. Da spielt die «New York Times» oder «Washington Post» eine ganz andere Rolle, als wir das von aussen wahrnehmen.
Nämlich nicht mehr die Rolle des Leitmediums.
Von aussen tun sie das noch. Von innen besehen war das Leitmedium bis vor 10 Jahren die Regionalzeitung – die «Dallas Morning News» oder die «Chicago Tribune».
Es gibt viel zu wenige, die die Fakten checken.
Das waren mächtige Tanker mit Hunderten von Redakteuren. Und was da vorhanden war an journalistischer Substanz, das ist in den letzten 10, 15 Jahren in einem dramatischen Tempo schlichtweg weggeschmolzen.
Weshalb?
Weil die Leute keine Zeitung mehr abonnieren. Weil sie online alles gratis haben wollen. Und weil auch die Werbung, die bisher den Journalismus genährt hat, immer mehr zu den sozialen Netzwerken und Suchmaschinen abwandert.
Da passiert hinter den Kulissen etwas, das wir bisher viel zu wenig zur Kenntnis genommen haben. Es gibt viel zu wenige, die die Fakten checken.
Die regionalen Medien, die früher mit Redakteuren die Nachrichten gefiltert haben, sind implodiert. An ihre Stelle ist ein unkontrolliertes Netz von nicht überprüfbaren Informationen getreten.
Genau. Das geht so weit, dass zum Beispiel im amerikanischen Wahlkampf in einem Kaff in Mazedonien eine Truppe von cleveren Internet-Unternehmern um die 100 Websites betrieben haben, die allesamt für Trump Propaganda gemacht haben.
Trump hat selber massiv Falschmeldungen verbreitet und ist damit relativ ungestraft weggekommen.
Und zwar nicht, weil sie Trump toll fanden. Sie haben herausgefunden, dass man wunderbar Geld verdienen kann, wenn man zugunsten von Donald Trump Falschmeldungen in das amerikanische Mediensystem einspeist: über Werbung, die man auf der eigenen Website bekommt.
38 Prozent der Meldungen, die über Donald Trump in den sozialen Medien propagiert wurden, waren falsch. Trump hat nicht dagegen interveniert.
Im Gegenteil. Er hat auch selber massiv Falschmeldungen verbreitet und ist damit relativ ungestraft weggekommen.
Die herkömmlichen Medien haben natürlich schon aufgepasst. Aber Journalisten sind nicht mehr die einzigen, die darüber entscheiden, welche Nachrichten in den öffentlichen Raum hineinkommen.
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Und das Schlimme ist: Falschmeldungen und Verschwörungstheorien breiten sich viel schneller aus. Weil sie saftiger sind als die grau schattierten Nachrichten, die seriöse Journalisten und seriöse Wissenschaftler gerne verbreitet sehen.
«Trump macht mit der Politik das, was das Internet mit dem Politischen macht. Er verdrängt Geduld und Anstrengung mit Spass und Intensität», hiess es in der «Neuen Zürcher Zeitung». Ist Spass das neue Politische?
Ein Stück weit ja. Wobei ich das nicht allein mit dem Internet verbinden würde. Neil Postman hat schon in den 1980er-Jahren seinen Bestseller geschrieben, in dem er sich damit beschäftigt hat, dass wir uns alle zu Tode amüsieren könnten.
Dem sind wir noch näher gekommen. Wenn ich mir anschaue, wie Comedy-Formate im Fernsehen inzwischen Zulauf bekommen haben, zeigt das, wie viel über Spass und Unterhaltung läuft, was genuin mit Politik zu tun hat.
Das Gespräch führte Christoph Keller.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 23.11.2016, 9:02 Uhr