Vom Fresspaket über Autos bis zum Einfamilienhaus: Im Genex-Geschenkkatalog der DDR konnte so gut wie alles bestellt werden. Offiziell gab es den Katalog jedoch nur im Westen, obwohl die Genex eine DDR-Firma war.
Der Trick: Westverwandte sollten für ihre Familien im Osten Produkte bestellen, sie mit Westgeld bezahlen und so Devisen ins Land spülen. Geld also, das entweder von den Verwandten stammte – oder aber den Bürgern im Osten gehörte, die im Westen ein geheimes Konto hatten.
Woher das Geld kam, war der DDR letztlich egal. Das Land war isoliert und auf Devisen angewiesen.
Das Geschäft des DDR-Geschenkdienstes Genex hatte allerdings einen Haken: Die Zahlung zwischen der BRD und der DDR konnte nicht auf direktem Wege fliessen. Dafür brauchte es eine Strohfirma in der Schweiz.
Von der Limmat in den Osten
Der Schweizer Spediteur Max Wolfensberger hatte während des Zweiten Weltkriegs die Belagerung der Russen in Budapest erlebt und war einer der wenigen, der das Juden-Ghetto dort besuchen konnte.
Nach Kriegsende blieben seine damaligen Kontakte bestehen. So begann das Versandgeschäft mit Ungarn. 1957 gründete er in Zürich die Firma Palatinus GmbH.
Bald weitete Wolfensberger das Geschäft auch auf andere Ostblockstaaten aus, bis schliesslich die DDR-Behörden direkt auf ihn zukamen. Das zeigt das Protokoll Wolfensbergers vom 6. Juli 1964, das SRF exklusiv vorliegt.
Die Zusammenarbeit kam zustande. Fortan liefen die Finanztransaktionen von Westdeutschland über die Schweiz in die DDR. Die Palatinus GmbH kassierte für jede Bestellung eine Provision.
Das Geschäft florierte, wie Sohn Thomas Wolfensberger erklärt, der ab 1980 für die Firma gearbeitet hatte: «Soweit ich mich als Kind erinnern kann, lief das Geschäft relativ schnell sehr gut.»
Das Tolle daran: «Wir hatten kein Warenrisiko und kein Debitorenrisiko. Wir leiteten Aufträge nur weiter, wenn sie bezahlt wurden. Mit der Ware hatten wir nichts zu tun.» Die Genex selbst war es, welche die Waren besorgte.
Made in Switzerland
Dabei entstand der Geschenkkatalog, in Farbe, rund 200 Seiten dick, in Zürich und wurde in der Schweiz gedruckt, sagt Thomas Wolfensberger.
Das hatte einen guten Grund: «Die DDR legte Wert auf Qualität, auch auf optische. Denn ihre Typografie, Fotografie, Litografie und Druck waren qualitativ nicht gerade gut.» Wolfensberger druckte bei Ringier in Adligenswil und Zofingen oder beim Farbendruck Weber in Biel.
Thomas Wolfensberger war für die Katalogproduktion verantwortlich. Die Genex bestand darauf, bei allen Texten mitzureden: «Natürlich war es ab und zu mühsam, einen Text mit dem Inhalt ‹auf Weltniveau› zu ergänzen. Im Westen hat es doch keinen Mensch interessiert, ob eine Schrankwand im Katalog jetzt auf ‹Weltniveau› war. Aber wir haben es eben gemacht», erinnert er sich.
Auch die Bilder entstanden vielfach in der Schweiz, aber auch in einem Fotostudio in Babelsberg. Es waren vor allem Schweizer Fotografen, die den Katalog bestückten. Der DDR-Geschenkkatalog, Made in Switzerland.
Mund-zu-Mund-Propaganda
Die Auflage betrug mehrere 100'000 Exemplare, die auf Bestellung vor allem nach Westdeutschland verschickt wurden. In der Schweiz wurde dafür ab und zu Werbung in Zeitungen gemacht. In Westdeutschland nicht. Dabei sollten vor allem Westdeutsche für ihre DDR-Verwandten fleissig Produkte bestellen.
Doch die Mund-zu-Mund-Propaganda funktionierte, sagt Wirtschaftshistoriker Matthias Judt: «Wegen der vielen Verbindungen zwischen Ost- und Westdeutschen. Da reichte es vielleicht auch nur, dass irgendwer einen Zeitungsartikel gelesen hat, dass die Ostzone sowas anbietet.» Solche Nachrichten hätten sich in der DDR wie ein Lauffeuer verbreitet.
Die Parteibonzen profitierten davon nicht.
Diese Mund-zu-Mund-Propaganda hatte auch ihre Schattenseiten. Denn der Genex-Geschenkdienst führte zu einer Ungleichbehandlung in der DDR. Wer Verwandte hatte im Westen, hatte Glück. Die anderen nicht. Das sorgte für Stunk. Gerade auch, wenn beim Nachbar plötzlich ein neues Auto vor dem Haus stand.
Der DDR in die Hände gespielt?
Die Zürcher Firma Palatinus musste sich aber auch immer wieder Kritik anhören. Als Ostblockschweine seien sie zu Beginn beschimpft worden, sagt Wolfensberger.
«Später ging die Kritik in Richtung Systemkritik, also dass man mit der Genex eine Zweiklassengesellschaft schaffe», sagt Wolfensberger. Das könne er nachvollziehen. «Was allerdings nicht stimmte, war die Aussage, dass die Parteibonzen davon profitierten.»
Auf die Frage, ob die Palatinus mit ihrer Arbeit nicht einem Unrechtsregime in die Hände gespielt habe, sagt Wolfensberger, das sei systembedingt so gewesen.
Schliesslich sei es dabei um Westgelder gegangen, die zugunsten von Ostbürgern angefallen seien: «Dass man schaute, dass etwas Gescheites damit gemacht wurde, dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Mein Vater sagte jeweils: Mit unserem Geschäft geht’s wenigstens ein paar Wenigen etwas besser.»
Hohes Risiko, hohe Preise
Auch die Preissetzung wurde immer wieder kritisiert. Doch da konnte die Palatinus GmbH laut Thomas Wolfensberger nicht viel mitreden: «Die Genex wollte natürlich selbst so viel wie möglich abschöpfen. Sie hatten den Warenaufwand und das Warenrisiko. Zum Teil mussten sie wohl auch Zoll zahlen.»
Wir wussten, dass das jederzeit fertig sein kann.
Erst am Schluss kam die Palatinus an die Reihe. Die Provision betrug bei Autos laut Wolfensberger etwa ein bis eineinhalb Prozent. «Aber der Aufwand für einen Autoauftrag war gleich gross wie für ein Fresspäckli. Proportional gesehen haben wir also deutlich mehr verdient an einem Auto.»
Mit der Mauer fiel auch der Umsatz
Die Palatinus machte laut Wolfensberger zu Spitzenzeiten einen Jahresumsatz von 80 Millionen Franken. Der 9. November 1989 änderte alles. «Mein Vater hatte die Einstellung: Wir betreiben ein politisches Geschäft und verdienen wegen des hohen Risikos gut.» Sie hätten aber auch gewusst, «dass das jederzeit fertig sein kann».
Kurz darauf gab Palatinus einen letzten Genex-Katalog für das Jahr 1990 heraus. Gleich nach dem Mauerfall wurde aber umgestellt, die Seitenzahl und die Auflage des Katalogs wurden deutlich reduziert.
Für die erfolgsverwöhnte Palatinus ein Verlustgeschäft. Denn im Sommer 1990 kam die Währungsunion. Die Ost-Mark wurde abgelöst. «Am 1. Juli konnten die DDR-Bürger ihr in Deutsche Mark umgewandeltes Geld selber in den nächsten Laden tragen und Produkte kaufen. Dadurch war das komplette Geschäftsmodell obsolet», sagt Matthias Judt.
Nach dem Mauerfall versuchte die Genex sich mit neuen Geschäftsmodellen, scheiterte aber und wurde schliesslich abgewickelt. Auch die Zürcher Palatinus entliess einen Grossteil ihrer rund 20 Mitarbeiter und versuchte, sich umzuorientieren. Doch so erfolgreich wie zu DDR-Zeiten wurde die Firma nie mehr.
2010 wurde sie liquidiert und vor ein paar Jahren wieder reaktiviert. «Für neue Geschäfte», wie Thomas Wolfensberger sagt.