Die Leitung einer Wiler Schule hat für die diesjährige Adventsfeier gleich drei Weihnachtslieder gestrichen – weil sie nicht alle Kulturen ansprechen würden.
Mit genau solchen Fällen befasst sich das Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik an der Universität Luzern. Die Politologin und Islamwissenschaftlerin Laura Lots ordnet den Vorfall in Wil ein.
SRF: Eine Schule streicht Weihnachtslieder aus ihrem Programm und die Empörung folgt sofort. Verstehen Sie die Reaktionen?
Laura Lots: Der ganze Vorfall überrascht mich überhaupt nicht. Im Gegenteil – es ist ziemlich typisch für diese Jahreszeit, dass solche Diskussionen aufkommen und in den Medien präsent sind. Nicht nur in der Schweiz, auch in Österreich und in Deutschland passiert das.
Das sind symptomatische Diskussionen in einem Kontext, in dem sich die religiöse Landschaft verändert. Sie wird vielfältiger. Es gibt auch immer mehr Menschen, die sich keiner Religion mehr zugehörig fühlen. Auch für sie stellt sich die Frage, welche religiöse Lieder wollen wir an einer Weihnachtsfeier in einer Schule singen?
Gestrichen wurden die Lieder «Go tell it on the mountain», «Fröhliche Weihnacht überall» und «S'gröschte Gschänk». Die Begründung lautete, sie thematisierten die Geburt Jesu. Ist es sinnvoll, solche Lieder zu streichen, um die Religionsfreiheit an Schulen zu garantieren?
Den Personen, die Lösungen finden müssen, geht es wahrscheinlich vor allem um den Schulfrieden und gar nicht unbedingt um die grosse Frage nach der Religionsfreiheit.
An der Schule, deren Fall jetzt in den Medien präsent ist, gab es offenbar bei vergangenen Weihnachtsfeiern Reaktionen aus der Elternschaft. Auf solche Zwischenfälle muss die Schulleitung reagieren.
In manchen Kantonen gibt es Leitfäden zum Umgang mit religiöser Vielfalt an Schulen. Die können in solchen Momenten Orientierung geben, damit nicht an allen Schulen jedes Jahr dieselben Grundsatzdiskussionen geführt werden müssen.
Sie haben es angesprochen: Wirklich neu sind solche Debatten nicht. Wie ordnen Sie denn diesen Fall in Wil ein?
Der Fall in Wil ist exemplarisch. Es ist eine Dynamik, die wir häufig sehen, wenn es um die Frage nach religiöser Vielfalt an Schulen geht: Es gibt einen Konflikt in einem Schulhaus, dann überlegt man sich intern eine Lösung, die gelangt irgendwie an die Öffentlichkeit.
Dann gibt es Reaktionen von Politikerinnen, von religiösen Verbänden, Experten werden befragt. So entsteht immer mehr Öffentlichkeit auf einer Ebene, die immer weiter entfernt ist vom Ursprung des Konflikts.
Interessant ist auch – und das ist auch sehr exemplarisch – dass es in diesem Fall auch sofort wieder um den Islam geht. Man vermutet, dass muslimische Eltern sich negativ geäussert hätten zu den religiösen Liedern, die gesungen worden sind.
Dabei ist es gar nicht ungewöhnlich, dass religionslose, freidenkerische Eltern in Schulen in solchen Situationen intervenieren. Solche Feinheiten gehen dann in der Diskussion häufig verloren.
Sie haben vorhin die Leitfäden angesprochen. Gibt es aus der Forschung noch andere Lösungsansätze?
Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass man sich möglichst partizipativ unter Eltern, Schülern und Lehrpersonen darüber austauscht, wie so eine Feier gestaltet sein soll und was für Lieder dort gesungen werden.
Wir sehen an den Fällen, die wir hier an der Universität analysieren, dass solche intern breit abgestützte und gut diskutierte Lösungen in der Regel funktionieren.
Das Gespräch führte Léa Burger.