Die Yogakultur sei gestohlen worden und habe sich zu einem Milliarden-Dollar-Markt entwickelt, schreibt Susanne Peter von der Freien Universität Berlin im Blog «ABV Gender- & Diversitykompetenz». Damit sei Yoga ein Paradebeispiel kultureller Aneignung.
Yoga gelangte im 19. Jahrhundert massgeblich durch den Hindu-Mönch Vivekananda nach Europa. Ab den 1960er-Jahren rückte aufgrund des verstärkten Fokus auf den Körper Yoga ins Rampenlicht.
Unter dem Label «Take Yoga Back» mehrten sich in den letzten Jahren indische oder indienstämmige Stimmen. Sie wollen den ihrer Meinung nach stark weltlichen Yoga nicht mehr losgelöst vom Hinduismus sehen. Das kulturelle Diebesgut solle vor Verfälschung geschützt werden.
«White women killed yoga»
Der Podcast «Yoga is dead» eines amerikanisch-indischen Duos will Macht, Privilegien, faire Bezahlung, Belästigung, kulturelle Aneignung und Kapitalismus in der Yoga- und Wellnessbranche untersuchen. Enthüllt werden sollen «alle Monster, die unter der Yogamatte lauern.»
Die erste Folge trägt den provokanten Titel «White women killed yoga». Darin geht es um spirituelle Umgehung, kulturelle Aneignung, Machtdynamik und die kulturellen Merkmale weisser Frauen, die die Yoga-Industrie verwüsten sollen.
Yoga als geistiges Eigentum schützen
Die «Hindu American Foundation» forderte 2010 in der «Washington Post», Hindus sollten Yoga als geistiges Eigentum ihrer spirituellen Vergangenheit betrachten und ihre Lehre nicht für westliche Yoga-Schulen hergeben. Die Amerikanerinnen und Amerikaner müssten sich daran erinnern, dass es Hindus waren, die Yoga erfunden hätten.
Zudem soll ein indischer «Yoga-Minister», ernannt durch Premierminister Narendra Modi, dafür sorgen, dass ein Stück von dem gesichert wird, was im Westen zu dieser Multi-Milliarden-Dollar-Industrie geworden ist. Indem man Yoga als indisch ausweist und ihn samt spirituellem Hintergrund als geistiges Eigentum schützt.
Bereicherung statt Aneignung
Doch die lautstarke Beschwerde der «Hindu American Foundation» ignoriert vermutlich Folgendes: den gewaltigen Umfang von gegenseitiger Beeinflussung und Vermischung, aus dem Yoga, so wie wir ihn heute kennen, geboren wurde.
Die Yoga-Lehrerin Anna Trökes sieht das ähnlich: «Es gibt nicht den klassischen oder den traditionellen Yoga, sondern er war schon immer ein Konglomerat. Der moderne Yoga, mit oder ohne religiöse Anteile, habe sich ganz viele europäische Techniken angeeignet.»
Trökes spricht viel lieber von einer «gegenseitigen Bereicherung», einem wertschätzenden transkulturellen Austausch, als von einer einseitigen kulturellen Aneignung.
Yoga als globale Innovation
Vanamali Gunturu, Religionswissenschaftler und Philosoph mit indischen Wurzeln, zitiert Patañjali, den «Vater des Yoga» und Verfasser des Yogasutra, dem Leitfaden des modernen Yoga. Er habe Yoga schon vor 2000 Jahren als «ewige Wahrheit überall auf der Welt» propagiert.
Vielleicht, sagt die indische Wissenschaftsphilosophin Meera Nanda, ist Yoga heutzutage ein einzigartiges Beispiel einer globalen Innovation. Darin hätten sich östliche und westliche Praktiken verbunden, um etwas zu schaffen, das sich weltweit einer grossen Wertschätzung erfreut.