Die Vettern Fritz und Paul Sarasin waren Sprösslinge aus reichstem Basler Hause: Der eine 1856 geboren, der andere 1859. Beide studierten Naturwissenschaft und lernten sich erst während des Studiums an der Uni Würzburg kennen. Der Beginn einer bemerkenswerten Freundschaft, die sie 40 Jahre aufs Engste zusammenschweisste.
Auf den Spuren der Vettern Sarasin
Tag und Nacht verbrachten sie unter einem Dach: Briefe und Gedichte zeugen von einer tiefen gegenseitigen Liebe – im Geiste und vielleicht auch darüber hinaus. Letzteres war im 19. Jahrhundert und erst recht in den grossbürgerlichen Kreisen des Basler Patriziats eine Unmöglichkeit. Deshalb ist bis heute unklar, ob die beiden tatsächlich homosexuell waren oder nicht.
Wie auch immer: Sie machten sich früh auf den Weg in die Tropen, nach Ceylon und Celebes (heute: Sulawesi), und betrieben fernab der heimatlichen Enge intensiv ihre naturwissenschaftlichen Forschungen. Dazu gehörten auch Rassenforschungen, die vor allem der Frage nachgingen, wie und warum der weisse Mensch allen andern überlegen sei: zweckdienliche Überlegungen, um die kolonialen Eroberungen damals zu rechtfertigen.
Historiker Bernhard Schär hat sich in seiner Dissertation «Tropenliebe» auf die Spuren der beiden Basler Zoologen gemacht. Ihn interessierte, wie sie zur Expedition kamen, wie sie genau vorgingen und welche Folgen die Expedition für die lokale Bevölkerung, die dortige Kolonialmacht Niederlande und auch für die Schweiz – und vor allem deren Wissenschaftskultur – hatte.
Ohne staatliche Unterstützung
Dank ihres unermesslichen Reichtums konnten die Sarasins ohne staatliche Unterstützung aus dem Vollen schöpfen: Auf zahlreichen Expeditionen sammelten sie so viel wie möglich, schickten das wertvolle Material in die Schweiz und legten damit den Grundstein für die bedeutende ethnologische und naturwissenschaftliche Sammlung der entsprechenden Museen und machten sich mit ihren Forschungen einen Namen weit über die Schweizer Grenzen hinaus.
In den entlegenen Kolonialgebieten waren die holländischen und britischen Beamten den beiden Schweizern gegenüber höchst kooperativ: Zum einen bedeuteten die beiden keine politische Konkurrenz, zum andern konnten sie deren Expeditionen nutzen, um wichtige Informationen für ihre eigene militärische Eroberung zu gewinnen. Aus europäischer Sicht also eine klassische Win-win-Situation wie sie ganz typisch ist für eine Schweizer Kolonialpolitik, die offiziell staatlich nie stattfand, die es aber trotzdem gab.
Kolonialpolitik trotz Neutralität
Neue Studien zeigen: Die Schweiz war in den kolonialen Gebieten bis zum Ersten Weltkrieg nur schwach vertreten. Vielmehr waren es Gelehrte, Kaufleute, Missionare, die vor Ort waren und die koloniale Herrschaft implementierten: Gesandte oder Vertreter bürgerlicher Eliten, die unabhängig von staatlichen Grenzen agieren konnten, national und international bestens vernetzt wie auch die Sarasins. Deren beide Väter waren steinreiche Textilfabrikanten, der eine zudem Basler Bürgermeister und Tagsatzungsabgeordneter, der andere Basler Regierungsrat, Ratsmitglied und treibende Kraft in der Basler Mission. Angesichts solcher Verstrickungen – so das Fazit des Historikers Bernhard Schär – muss die Schweiz in Sachen Kolonialgeschichte und Neutralitätspolitik im 19. Jahrhundert nochmals gründlich über die Bücher.