Max Kleiber ist 24 Jahre jung, als er im April 1917 vor dem Militärgericht steht und erklären muss, warum er keinen Dienst mehr leisten will:
«Ich verweigere den Militärdienst. Erstens, weil er dem christlichen Grundgebot und damit einer höheren Kultur widerspricht, zweitens als internationaler Sozialist und drittens als Schweizer.»
Aufrecht und schlicht soll er dagestanden sein und mit seiner Rede die Anwesenden wie auch die Richter beeindruckt haben. So wird er in der Zeitschrift «Neue Wege» von 1917 beschrieben, aus der auch die Zitate seiner Rede stammen.
Kein Militärdienst? Gestört!
Max Kleiber musste sich seine Worte gut überlegen. Wer damals den Militärdienst verweigerte, wurde hoch bestraft und nicht selten als «gestört» oder «krank» bezeichnet.
Das liess er nicht auf sich sitzen. «Gegen die ‹Entschuldigung›, ich handle aus Fanatismus oder aus Wahnsinn, muss ich mich im Interesse meiner Sache wehren», sagte er. «Man ist gar gerne versucht, das Gewohnte für das Gute und Vernünftige zu halten, und etwas Neues als verrückt zu erklären.»
Der erste, rebellierende Student
Tatsächlich war das etwas Neues, was Max Kleiber tat. Der junge ETH-Student war einer der ersten Offiziere in den Jahren des Ersten Weltkriegs, der seinen Militärdienst verweigerte.
Es war seine Art, gegen den Krieg zu protestieren. Als religiöser Sozialist setzte er sich so für eine friedlichere Welt ein.
Trotz seiner wortgewandten Rede im Militärgericht musste er vier Monate ins Gefängnis und wurde von der Armee ausgeschlossen. Während eines Jahres wurde ihm das aktive Bürgerrecht entzogen. Schliesslich wurde ihm auch noch das Studieren verboten. Und: Der Bundesrat unterstützte diesen Entscheid.
Ein Zeichen setzen – mit Stille
Einer kritisierte dies besonders scharf: Pfarrer Ernst Altwegg von der reformierten Kirche Zürich-Wipkingen. Schon länger setzte man sich dort in der Kirchenpflege mit der aktuellen Politik auseinander.
Der Fall Max Kleiber kam gerade recht, um ein Zeichen zu setzen gegen die Behandlung von Dienstverweigerern und die allgemeinen sozialen Missstände in der Kriegszeit.
Deshalb verzichtete man am ersten August 1917 darauf, die Glocken zu läuten. Ein Bruch mit der Tradition. Damals ein Skandal. Später, im September, musste der Pfarrer für diesen Entscheid geradestehen.
Rechtfertigung des Pfarrers
Besonders Konservativ-Bürgerliche fanden, dass sich eine Kirchenpflege aus politischen Angelegenheiten raushalten solle. Der Pfarrer Ernst Altwegg wehrte sich.
«In einer solchen Zeit, meinen wir, dürfen auch Kirchenpflegen sich nicht einfach als Verwalterinnen von allerlei kirchlichen Antiquitäten betrachten. Sondern sie müssen an ihrer Stelle sich einzusetzen versuchen für die Geltung evangelischer Grundsätze im Leben. Darum halten wir es für so wichtig, dass von unseren Kanzeln nicht nur allerlei Erbaulichkeiten gesagt, sondern ein kraftvolles Wort für eine gründliche Umgestaltung unseres wirtschaftlichen und politischen Lebens gesprochen wird», sagte er in seiner Rechtfertigungsrede.
Neue Reklamationen
Der Dienstverweigerer und Student Max Kleiber konnte dank engagierter Akademiker doch noch an der ETH doktorieren. Später aber fand er keine Stelle. Er wanderte deshalb in die USA aus und machte dort Karriere als Agrarwissenschaftler.
Erst nach ein paar Jahren kehrte in Zürich-Wipkingen wieder Ruhe ein. Doch vor kurzem ging der Streit um die Glocken wieder los. Diesmal, weil sich die Anwohner durch das nächtliche Glockengeläut gestört fühlten.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 31.7.2017, 17:15 Uhr