Oft ist vom Einwanderungsland Schweiz die Rede – doch die Schweiz ist auch ein Auswanderungsland. Immer mehr Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit verlassen die Schweiz.
Die Zahl der eingewanderten Auswanderer hat sich in den vergangenen 15 Jahren gemäss des Bundesamts für Statistik fast verdoppelt.
2002 haben rund 53'000 Menschen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft die Schweiz wieder verlassen. Im Jahr 2018 waren es über 98'000. Einige suchen ihr Glück andernorts, die meisten kehren in ihre Herkunftsländer zurück.
Was sind die Gründe für diese Entwicklung? Eine Rückkehrerin, ein Rückkehrer und eine Forscherin erzählen.
Uwe Bula, 57 Jahre, aus Deutschland
«Ich fühle mich ausgeschlossen. Ich kann es drehen und wenden, wie ich will, ich bleibe immer der Deutsche», sagt Uwe Bula. Vor 15 Jahren ist er mit seiner Frau aus Thüringen in die Schweiz gezogen. Nun kehrt das Ehepaar zurück.
Als Bula Thüringen verliess, tat er das auch wegen des Geldes. «Als gelernter Schreiner habe ich damals 1000 Euro verdient, am Ende des Monats blieb kaum etwas übrig.» Er sorgte sich um seine spätere Rente. In der Schweiz, so hoffte Bula, könnte er mehr Erspartes zur Seite legen.
Doch Arbeit und Geld waren nicht die einzigen Gründe, derentwegen Bula in die Schweiz gezogen ist. Seine Vorfahren stammen aus Fribourg, deshalb hat er seit seiner Kindheit eine besondere Beziehung zur Schweiz. «Wir wollten die Schweiz und ihre Bewohner besser kennenlernen.»
Nach seiner Ankunft wohnte er kurze Zeit bei einer Familie im Kanton Luzern. Es sind bis heute seine einzigen Schweizer Freunde. Schliesslich bezog er mit seiner Frau eine Wohnung in Wohlen, in der Nähe seiner Arbeitsstelle.
Finanziell ist die Rechnung aufgegangen: Uwe Bula und seine Frau konnten jeden Monat rund 1000 Franken sparen und so die eigene Altersvorsorge aufbessern. Doch zwischenmenschlich erfüllten sich ihre Wünsche nicht.
Beide versuchten immer wieder, Freundschaften zu knüpfen. Uwe Bula ging zum Fussballtraining, zum Bier danach sei er aber nie eingeladen worden. Ein Arbeitskollege, den er mehrere Male zum Essen eingeladen hatte, habe jedes mal abgesagt.
Er meldete sich mit seiner Frau auf einer Kontaktplattform an, doch alle, die sich auf ihren Aufruf meldeten, waren Deutsche.
«Ich weiss nicht, woran es liegt», sagt Bula. «Ob die Schweizer einfach nicht wollen mit uns Deutschen?»
Bei der Arbeit versuchte er, Schweizerdeutsch zu sprechen. Er glaubt, dass er mit seiner direkten Art manchmal angeeckt sei. Als Deutscher sage er gerne, wo's lang geht, das sei einfach so. «Das bekommt niemand aus mir raus.»
Doch arrogant sei das nie gemeint gewesen. Vielleicht, denkt er, habe ihm das der eine oder andere Arbeitskollege trotzdem übel genommen.
Es mache ihn traurig, sozial keinen Anschluss zu haben, sagt Bula. Er, der in Deutschland viele Kollegen hatte und Vorstandsvorsitzender des Kegelvereins war. «In Thüringen kann man am Gartenzaun vorbeigehen und der Nachbar lädt einen auf ein Bier ein.»
Das fehlende Sozialleben sei der Hauptgrund, warum Uwe Bula und seine Frau nun nach Thüringen zurückkehren. «Wir wollen wieder bei unseren Freunden und der Familie sein.»
Die Schweiz? Ein schönes Land, dem Paradies nah, sagt Bula. «Doch die Leute sollten etwas zufriedener sein mit dem, das sie haben.»
Santa Perdomo, 49 Jahre, aus der Dominikanischen Republik
Santa Perdomo kam vor knapp 30 Jahren in die Schweiz. Sie dachte nie daran, das Land wieder zu verlassen. Bis sie vor zwei Jahren erkrankte. Seither fürchtet sie sich vor dem Absturz in die Armut.
Deshalb hat sie sich nun zur Rückkehr in die Dominikanische Republik entschieden. In ihrer Wohnung am Stadtrand von Basel stapeln sich die Umzugsschachteln. Ihre kleine Tochter, die hier zur Schule geht, nimmt sie mit.
Santa Perdomo war 21 Jahre alt, als sie ihre Heimat verliess. Gemeinsam mit ihrem vier Monate alten Sohn und ihrem Mann setzte sie sich damals ins Flugzeug und kam in die Schweiz. Es war ihre erste Reise ins Ausland überhaupt.
«Mein Mann stammte aus der Schweiz und war der Meinung, unser Sohn habe hier bessere Chancen», sagt sie.
Nur wenige Monate nach ihrer Ankunft in der Schweiz wurde sie mit ihrem zweiten Sohn schwanger. Doch die Beziehung mit ihrem Mann zerbrach, einige Jahre später verstarb er. «Das Leben war nicht immer nett zu mir», sagt Santa Perdomo.
Nachdem ihre Söhne etwas älter waren, fand sie eine Stelle bei der Schweizerischen Post. Zuerst in Basel, wo sie Briefe sortierte. Dann wechselte sie nach Härkingen, wo sie als Springerin eingesetzt wurde. Für ihre Arbeitsschichten setzte sie sich oft mitten in der Nacht ins Auto und fuhr von Basel ins Verteilzentrum.
«Die Post war ein Teil von mir und meinem Leben», sagt sie. Während dieser Zeit lernte sie einen neuen Mann kennen und brachte 2013 ihre Tochter zur Welt. Die Beziehung zum Vater ging aber bald in die Brüche.
Die Schweiz zu verlassen, daran hatte Santa Perdomo nie gedacht. Ihre erwachsenen Söhne leben hier, ihre Tochter wurde hier geboren. Auch wenn das Leben in der Schweiz sie immer wieder vor Herausforderungen stellte: Sie fühlte sich wohl. Bis sie vor zwei Jahren erkrankte.
Es begann mit Schmerzen in den Gelenken, in den Schultern, im Rücken. Nach mehreren Abklärungen die Diagnose: Fibromyalgie. Eine schwere Schmerzerkrankung, deren Ursachen nicht vollständig geklärt sind.
Ihre Arbeit bei der Post musste sie aufgeben. Zuerst lebte sie vom Krankentaggeld, dann von Beiträgen vom RAV. Eine Invalidenrente erhält sie bisher keine, weil die IV ihre Krankheit nur in seltenen Fällen anerkennt. «Meine Tochter und ich leben finanziell am Minimum.»
Während der letzten zwei Jahren reifte in ihr die Idee der Rückkehr. Bei warmem Wetter nehmen ihre Schmerzen ab. Sie hofft deshalb, dass es ihr in der Dominikanischen Republik besser geht.
Seit dem Tod ihres ersten Mannes erhält sie eine kleine Rente, vom Vater ihrer Tochter zudem Alimente. Wenig Geld in der Schweiz, genügend in ihrer Heimat.
Santa Perdomo verlässt die Schweiz Ende Februar. Ihre Tochter freue sich, sagt sie. Die wirtschaftliche Lage würde sich für sie verbessern, das Geld reiche für eine Privatschule. Santa Perdomo ist überzeugt, dass ihr Kind auch in der Dominikanischen Republik ein gutes Leben haben wird. Ein besseres vielleicht als in der Schweiz, mit einer kranken Mutter, die von der Sozialhilfe lebt.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 24.2.20, 9:02 Uhr