Lendi Mustafa und Adelina Tershani stehen für einen jungen Aktivismus im Kosovo. Lendi ist die erste trans Person im Kosovo, die sich einer medizinischen und juristischen Transition unterzogen hat. Adelina ist Feministin an vorderster Front.
Lendi und Adelina sind die Protagonisten im Filmprojekt «Çohu» von Arzije Asani und Céline Stettler. Die Schweizer Filmemacherinnen zeigen in einer dreiteiligen Serie, welche Themen junge Menschen in diesem jungen Land beschäftigen.
SRF: Wie steht es um die Rechte von LGBTQ-Menschen im Kosovo?
Céline Stettler: In der Verfassung des Kosovos ist die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt. Das Gesetz schreibt allerdings vor, dass die Ehe zwischen Mann und Frau geschlossen werden muss.
Ebenfalls steht in der Verfassung, dass Menschen Schutz vor Diskriminierung haben. In der Realität sieht das anders aus: Viele Homosexuelle oder trans Menschen im Kosovo erleben Übergriffe und die gleichgeschlechtliche Ehe ist in der Gesellschaft nicht akzeptiert.
Arzije Asani: Es ist eine ambivalente Situation. Vor zwei Jahren fand die erste Pride in Pristina statt, welche der Präsident unterstützte. Während Demonstrationen oder dem Frauenmarsch geschehen öffentlich keine Übergriffe. Aber sie finden statt, versteckt.
Lendi erhielt nach einer Demo mehr als 150 Drohungen via Facebook. Und Adelina wurde von einem Auto beinahe angefahren. Der Fahrer drohte ihr, sie solle endlich aufhören, in der Öffentlichkeit über Frauenrechte zu sprechen. Die Unsichtbarkeit dieser Taten macht es schwierig, sie zu bekämpfen.
Wieso ist gerade der Kosovo im Mittelpunkt Ihres Filmes?
Céline Stettler: Was im Kosovo passiert, passiert überall. Im Kosovo ist es einfach schwieriger, weil die Menschen dort isoliert sind. Um auszureisen, müssen sie sich einem regelrechten Visa-Krieg unterziehen. Deshalb wollten wir unsere Serie auch online zur Verfügung stellen, sodass jeder und jede Zugang hat.
Arzije Asani: Der Kosovo ist gerade im Umbruch. In dem jungen Land geschieht unglaublich viel, wovon kaum Notiz genommen wird.
Es gibt in der Schweiz eine grosse kosovo-albanische Community und ich nehme wahr, dass bei vielen das Patriarchat und wenig Akzeptanz für Homosexualität vorherrschen. Adelina und Lendi sind sehr gute Beispiele, die den Kampf gegen das Patriarchat positiv verkörpern.
Wo ist es schwieriger, ein offeneres Denken zu erreichen: bei Kosovaren im Kosovo oder in der Diaspora?
Arzije Asani: Ich denke eher in der Diaspora. Mir fällt auf, dass die albanische Community an jenem Kosovo festhalten will, den sie vor Jahren verlassen haben. Das kann auch gute Seiten haben, wie zum Beispiel, dass sie die Sprache weiter pflegen. Aber sie halten eben auch an Traditionen fest, die sich unterdessen verändert haben.
Wir haben uns mit den drei dokumentarischen Filmen klar positioniert.
Céline Stettler: Die Menschen hier sind mit Rassismus oder auch schlechter Integration konfrontiert. Da bilden sich abgeschlossene Communitys und es ist viel schwieriger, zu ihnen durchzudringen.
Die Webserie wirkt, als ob sie nicht nur über Aktivismus berichtet, sondern selbst aktivistisch sein will.
Céline Stettler: Es ist definitiv ein Stück Aktivismus. Wir haben uns mit den drei dokumentarischen Episoden klar positioniert. Der Fokus liegt auf Adelina und Lendi, nicht auf der Gegenseite.
Arzije Asani: Der dritte Teil hat aber auch eine aufklärerische Funktion. Dort zeigen wir die Transition von Lendi. Über einen solchen Prozess wissen viele Menschen nicht Bescheid.
Haben Sie bereits Reaktionen auf den Film erhalten?
Céline Stettler: Bisher war die Resonanz mehrheitlich positiv. An einer öffentlichen Vorführung fühlte sich jemand vom Film angegriffen. Wir hätten nichts Positives über den Kosovo gezeigt, wie zum Beispiel seine Landschaft. Da sagte eine andere Zuschauerin: «Wir sprechen jetzt zuerst über Menschenrechte. Die Natur können wir nachher bearbeiten.»
Mit Frauenrechten ist man mittlerweile warm geworden. Mit LGBTI allerdings noch nicht.
Arzije Asani: Ich glaube, dass sich Leute angegriffen fühlen, weil sie sich stark mit dem Land identifizieren. Sie befürchten, dass man den Kosovo als ein «schlimmes Land» wahrnimmt. Sie denken in dem Moment gar nicht daran, dass es darum geht, etwas zu verändern oder zu verbessern.
Arzije Asani: In der albanischen Community mache ich aber auch die hoffnungsvolle Beobachtung, dass man mit Frauenrechten mittlerweile warm geworden ist. Mit LGBTQ allerdings noch nicht. Das ändert sich hoffentlich bald.
Das Gespräch führte Vivienne Kuster.