Soziale Medien wie Instagram oder TikTok fesseln mit ihrer Bilder- und Videoflut. Entweder springt die Plattform automatisch zum nächsten Inhalt, oder die Userin oder der User scrollt selbst weiter.
Was dabei ungesehen bleibt, sind all die Inhalte, die die Algorithmen auf Social Media verstecken. Das möchte das britische Online-Projekt «The Unseen» ändern: Es rückt diese verborgenen, zensierten Beiträge in den Vordergrund.
Nicht nur Nippel betroffen
Bei Zensur auf Social Media denkt man zuerst an Nacktheit. Tatsächlich sind auf «The Unseen» viele nackte Körper zu sehen: Nippel, die kunstvoll bedeckt oder verpixelt sind, aber für die Algorithmen wohl nicht gut genug versteckt wurden.
Doch auch andere Inhalte werden von den Algorithmen zensiert: Kinderfotos, Illustrationen von Tampons oder gar reine Informationsbeiträge zu den Themen psychische Gesundheit oder Menstruation – und Posts zum Thema Mutterschaft.
Stillende Mütter unerwünscht?
So erging es auch der israelischen Filmemacherin und Fotografin Karni Arieli. Ihr Instagram-Account wurde für einige Zeit komplett gesperrt. Sie zeigt auf ihrem Profil «Eye Mama Project» verschiedene Facetten von Mutterschaft.
Damit bietet sie Eltern – vorwiegend Müttern – eine Plattform, auf der sie ihre Erfahrungen teilen können. Dazu gehören auch Bilder von Brüsten, stillenden Müttern und halbnackten Kindern. Für die zweifache Mutter Arieli ist dies das Normalste der Welt – wohl nicht aber für Instagram.
Zensur verzerrt die Wahrnehmung
Dass Instagram Bilder stillender Mütter zensiert, findet Arieli problematisch. Was wir sehen, präge unsere Vorstellung davon, was es heisst Eltern zu sein. «Wenn wir das nicht mehr sehen, fehlt uns ein Narrativ und ein ganzer Blick auf die Welt», sagt sie.
Es sei wichtig, auch die schwierigen Seiten von Mutterschaft zu zeigen, damit kein romantisiertes Bild entstehe.
Wer zensiert wurde, ist eingeschüchtert
Die Zensur durch die Algorithmen hat aber nicht nur Konsequenzen für Userinnen und User, die die Inhalte sehen. Am stärksten trifft es diejenigen, die posten.
«Die Zensur beeinflusst und zerstört meine Kuration, weil ich Angst habe, zu posten. Wenn ich Angst habe zu posten: Wie soll ich dann diese Frauen empowern und ihre Stimmen lauter machen?», erklärt Arieli.
Die Geschichten auf The Unseen zeigen: Wurden Inhalte zensiert oder das eigene Profil gar gesperrt, hinterfragen Betroffene das eigene Schaffen und veröffentlichen im Zweifel weniger aneckende Posts. Die Sperrungen können zwar beanstandet werden. Doch viele warten lange auf eine Antwort oder hören nie etwas von den Social Media-Betreibern.
Kein Platz für Krankheitsgeschichten
Durch die Zensur der Algorithmen gehen viele Geschichten verloren. Wie etwa das TikTok-Video einer Frau, die den Einfluss einer Hirnerkrankung auf ihr Leben beschreibt. Das Urteil des TikTok-Algorithmus: zu brutal.
Entscheidungen wie diese werfen die Frage auf: Wer trainiert die Algorithmen? Wessen Blick wird da reproduziert? Und wer entscheidet, was zensiert werden soll?
Karni Arieli kann nicht verstehen, dass keine besseren Algorithmen entwickelt werden. Trotzdem lässt sie sich nicht einschüchtern und postet weiterhin ihre «Mama Stories».